Katholisch, beliebt, verheiratet – gefeuert

Michael Bongardt war ein beliebter Professor für katholische Theologie an der Freien Universität. Bisher. Denn der einstige Priester hat geheiratet. Jetzt trifft ihn der Bannstrahl der Uni: Zum Wintersemester wird er versetzt. Die Stimmung an seinem Institut schwankt zwischen Protest und Resignation

Die Verletzung, die Kränkung, die sieht man ihm an

von ANDREA RÖDIG

Professor Michael Bongardt spricht bedächtig. Es ist ein kleines Singen in seiner Stimme, von dem man glauben könnte, es sei ein leicht ironischer Unterton. Er setzt die Worte, langsam, vorsichtig, als balanciere er, und dann entstehen diese präzisen Satzkonstrukte, druckreif diplomatisch. Etwa: „Ich halte viele der katholischen Moralvorstellungen von der Intention her für verständlich, in der Anwendung aber für fragwürdig.“

Michael Bongardt ist kein Kämpfer, kein Eiferer, er ist nicht gepackt von einer Wut, er ist kein Drewermann, kein Küng. Und doch wird ihm jetzt der letzte verbliebene Rest seiner Lehrerlaubnis für katholische Theologie entzogen. „Entfernt“ werden soll er aus dem Seminar für katholische Theologie, so heißt das im Kirchenjargon. Damit dürfte die Freie Universität (FU) ab dem Wintersemester einen Professor für Theologie weniger haben. Das einzige katholische Institut einer Universität in Berlin wird zunächst auf die Hälfte seiner Professoren reduziert. Bislang hatte es zwei.

„Fälle des Entzugs des ‚Nihil obstat‘ finden in aller Regel in der Publizistik eine beträchtliche Aufmerksamkeit“, heißt es trocken in einen Stichwortverzeichnis der Deutschen Bischofskonferenz. Wohl wahr. Denn es erstaunt den Laien immer wieder, dass die katholische Kirche die Lehrerlaubnis für Dozenten einer staatlichen, mithin auch staatlich finanzierten Hochschule entziehen kann.

Doch was nach Skandal riecht, ist ganz banales Recht. Für alle Eventualitäten, in denen sich Kirchen- und Landesbelange überlagern, werden gemeinhin so genannte Konkordate – Staatsverträge – geschlossen. Unter anderem beinhalten sie, dass Lehrpersonen für kirchenrelevante Ausbildung ein „Nihil obstat“ („Es steht nichts entgegen“), des zuständigen Bischofs erhalten müssen. Er hat das Vetorecht und kann beziehungsweise muss das „Nihil obstat“ wieder entziehen, wenn der Betreffende in der „Lebensführung, das heißt in seinem sittlichen Verhalten oder in seiner Lehre, in schwer wiegender Weise gegen die Grundsätze der katholischen Kirche verstoßen hat“.

In Bongardts Fall ist es die Lebensführung. Michael Bongardt hat geheiratet. Das sollte die Kirche eigentlich begrüßen. Doch Bongardt war einmal Priester. Und wenn ehemalige Geistliche die Ehe eingehen, sieht das die katholische Kirche wirklich nicht gern. „Das durch die Weihe eingeprägte Mal ist unauslöschlich“, sagt der Katechismus. Deshalb verfährt man mit einem Priester, der sein Amt niederlegt, besonders streng. Er darf als Professor nicht, was alle seine Kollegen, die Laien sind, ohne weiteres können: Theologen ausbilden. Er darf auch anderes nicht, zum Beispiel sich im Altarraum einer Kirche aufhalten. Die katholische Kirche, die so verbissen am Zölibat festhält, als wolle sie mit ihm untergehen, belegt ehemalige Priester mit Acht und Bann.

Professor Bongardt hatte eine teure Hochzeit. „Selber schuld“, ist man versucht zu sagen. Wer sich ins Priesteramt begibt, weiß, was ihn erwartet. Bongardt wusste es, natürlich, aber er wusste nicht, was ihm fehlte. Und er wirkt wie erstaunt darüber, dass man vielleicht mit 17, 18 auch schon auf andere Gedanken hätte kommen können. Bongardt ist keiner, der sich Extravaganzen leistet.

1959 in Bonn geboren, wächst er in einem jener „katholischen Milieus“ auf, von denen er sagt, dass sie sich heute auflösen. Seine Familie ist katholisch, er besucht das katholische Jungengymnasium, er entscheidet sich vor dem Abitur zum Priesteramt und wechselt ins Albertinum, dem Bonner Priesterseminar.

Die Infrastruktur für einen katholischen Werdegang ist gut im Rheinland. Wie eine glatte Röhre legt sie sich ums Subjekt, das beschirmt und beschützt von einer Station zur nächsten gleitet. Seine Studienjahre seien in eine Aufbruchszeit gefallen, sagt Bongardt – die Zeit nach dem zweiten Vatikanischen Konzil, in der man dachte, die Kirche verändere sich. Noch aber war nichts zu spüren von der „massiven Wendung zum Klerikalismus“, der heute das Bild prägt.

Bongardt geht den vorbestimmten Weg. 1985 erhält er die Priesterweihe, arbeitet als Kaplan in Köln. Dann fragt man ihn, ob er nicht promovieren, sich habilitieren wolle, mit Priestergehalt natürlich. Die Kirche nährt ihre weißen Schafe. Die Themen seiner Arbeiten, das fällt auf, sind philosophisch: Über Kierkegaard schreibt er und über Ernst Cassirer. Nach der Habilitation 1998 wird Bongardt Dekan des Ökumenischen Theologischen Studienjahrs der Dormition Abbey in Jerusalem, im Jahr 2000 erhält er die Professur an der Freien Universität. Die schützende Hülle hält immer noch.

„Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich das Priesteramt aufgeben würde, hätte ich mich nicht beworben“, sagt Bongardt heute. Er ist Beamter, die Universität kann ihn nicht entlassen. Nur in ein anderes Fach versetzen wird sie ihn. Bongardt hat – wie so viele – den Zölibat „hingenommen“, doch er wurde, „zu einer Form, in die mein Leben immer weniger passte“. Den Zölibat aufzugeben war eine Befreiung und eine Glaubensfrage. Bongardt heiratete eine Katholikin. Im Februar 2003 schied er aus dem Priesteramt.

Dass der Abtrünnige überhaupt noch bis zum Sommer 2005 am katholischen Seminar lehren konnte, liegt an der unklaren Fassung des Kirchenrechts in Berlin. Hier existieren, aufgrund des Sonderstatus der Stadt, noch keine Staatsverträge. Es gelten ein so genanntes altes Preußenkonkordat und Protokolle von Gesprächen zwischen dem Senat und dem Erzbistum. Der Fall des Expriesters war daher nicht ganz so klar, wie er es in anderen Bundesländern gewesen wäre; eine „causa mixta“.

Zwar entzog das Berliner Erzbistum 2003 sofort das „Nihil obstat“. Doch die FU wollte den Fall prüfen. Sie gab ein Rechtsgutachten in Auftrag und entzog Bongardt zunächst nur die Lehrerlaubnis für angehende Religionslehrer, nicht aber für den Magisterstudiengang, einen Abschluss, den die Kirche sowieso nicht anerkennt. Dass es ein Moratorium war, ein Schwebezustand, wusste Bongardt. Aber vielleicht hat er eine kleine Hoffnung daran geknüpft. Immerhin ist er ein guter Theologe, ein beliebter Professor, ein verdienter Fachmann, und nichts an seiner Lehre, auch wenn sie kritisch ist, würde seine Entlassung rechtfertigen. Hätte man sich also nicht mit dem Provisorium begnügen, ein kleines Zeichen setzen können?

Das Rechtsgutachten sei eindeutig, heißt es bei der Senatsverwaltung für Kultur und Wissenschaft. Offenbar drängte auch das Erzbistum noch einmal darauf, „dass der Casus beseitigt wird“. Ende Juni trafen sich Vertreter des Präsidiums der FU, der Senatsverwaltung für Kultur und des Erzbistums. Sie kamen überein, Bongardt, der überdies Dekan des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften ist, nun endgültig zu versetzen. Man möchte keinen Rechtsstreit zwischen Universität und Kirche, man möchte sich gütlich einigen. So also sehen gütliche Einigungen aus.

Eigentümlich changiert an seinem Fachbereich die Stimmung zwischen Aufruhr und Resignation. Als die Entscheidung am Ende des Semesters bekannt wurde, organisierten die Studenten Widerstand, sammelten 800 Protestunterschriften, sandten Briefe an den Fachbereich und den Senat. Der antwortete, man könne nichts tun: innerkirchliche Angelegenheit. Überhaupt sagen alle Beteiligten, ihnen seien die Hände gebunden. Das Erzbistum muss handeln, wie es handeln muss; der Senat sagt, er habe da keinen Einfluss; und das FU-Präsidium meint, der Fall sei zwar noch nicht endgültig geklärt, das Rechtsgutachten aber lasse wenig Spielraum. Man werde nach einer institutionellen Lösung suchen.

Gibt es tatsächlich so wenig Spielraum? Die Staatsverträge zwischen katholischer Kirche und dem Land Berlin liegen – wegen des Streits um den Religionsunterricht in Schulen – sowieso auf Eis. Vielleicht wäre es an der Zeit, das Verhältnis Staat und Kirche auch bei den Hochschulen zu überdenken.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Unterstützung gibt, auch aus kirchennahen Kreisen“, sagt Bongardt. Er wirkt ein wenig schicksalsergeben, er ist, wie gesagt, kein Eiferer. Die Verletzung, die Kränkung, die solch ein Verfahren bedeutet, sieht man ihm an. Er wird darauf warten, wohin man ihn versetzt wird.

Ach ja, die Professur für katholische Theologie wolle man möglichst zügig neu besetzen, weiß man in der Senatsverwaltung. Wer das wie bezahlen soll? Sicher ist nur, dass Michael Bongardt nicht mehr am Seminar für katholische Theologie unterrichten wird.