Hasch im Leopardenslip

Wie man das Gewitter lobt und mit einer schwarzen Kunstfell-Federboa prima aussieht: Einen Sommertag lang ausgegangen und rumgestanden

VON DETLEF KUHLBRODT

Der Tag hatte etwas Dramatisches. Ein Gewitter hatte sich schon den ganzen Tag über angedeutet. Kurzzeitig am Nachmittag war es super schwül gewesen, größere Bereiche des Himmels hatten sich verdunkelt, die Atmosphäre war seltsam interessant und schön, vielleicht hatte mir die Kassiererin bei Kaiser’s auch deshalb zwei Treueherzchen mehr gegeben als mir eigentlich zustanden. Draußen lächelte die rotbackige Motz-Verkäuferin. Um was zu sagen, sagte ich, dass es doch schön wäre, wenn es nun endlich losginge. Doch dann hatte sich die Wolkenzusammenrottung wieder aufgelöst. Aber es war ja ganz okay so, obgleich ein wenig stickig im Zimmer zu Haus am Schreibtisch.

Was sich äußerlich änderte, war das Wetter, oder dass Freunde wegfuhren oder Kinder in die Schule gingen und danach dann in die Ferien. Manchmal auch der infernalische Lärm eines Kühllasters, der, wenn er wegfuhr, durch das Starten des Motors noch einmal erhöht wurde.

Dann ging ich spazieren. Die vertrauten Routen, eine Runde am Kanalufer entlang. Es piepste. Dann kamen 53 Großbuchstaben: „Long papers are at shortage, but just we are on the top of the hill.“ Zunächst schien mir der Text perfekt, auch wenn er vielleicht gar nicht stimmte. Vielleicht war’s ja auch ein Zitat. Es dauerte eine Weile, den Sinn zu erfassen und die Post jemandem zuzuordnen. Der Freund saß auch nicht auf dem Kreuzberg, wie ich kurz vermutete und vermutenderweise mir schon einen super relaxten Nachmittag ausgemalt hatte, sondern er ging grad irgendwo im sonnigen Skandinavien spazieren. Wir smsten uns noch kurz vielsagend gestylte Sätze hin und her, dann blieben wir in unseren jeweiligen Sommernachmittagen.

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Am Nachmittag im Prinzenbad schien die Sonne ein wenig bleicher als zuvor. Eine Weile ging ich achtlos, als wollte ich in echt gar nicht schwimmen, sondern einfach nur spazieren gehen, zwischen den Becken hin und her, hielt kurz einen Fuß, dann eine Hand unter die Kaltdusche, ging noch einmal so hin und her, im Geiste vor mich hin pfeifend, prüfte das Wasser, das mir immer noch zu kalt vorkam, hielt wieder Hand und Fuß unter die Kaltdusche und war dann selbst erstaunt, wie schnell ich im Wasser war. Dann war die Sonne weggegangen. Man hatte erst ein paar Bahnen geschwommen, als es die erste Durchsage gab: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die Becken mit Beginn des Gewitters geräumt werden müssen.“ Schwimmend überlegte man, was genau darunter zu verstehen sei. Ob Donner den offiziellen Beginn des Gewitters signalisieren würde – ein Startschuss zum Räumen der Becken –, oder ob die Bademeister per Funk, Handy und Satellit mit den Orten verbunden wären, aus denen das Gewitter kommen würde.

Anderthalb Bahnen später sagte die Stimme des Bademeisters mit erhöhter Dringlichkeit: „Wir möchten Sie bitten, sofort die Becken zu räumen!“ Danach blieb die Zeit plötzlich stehen oder wurde langsamer. Plötzliche Winde verwirrten die Äste in den Kronen der Bäume, das Licht und die Wolken. Genauso hastig, wie der Wind die Äste der Bäume bewegte, bewegten sich die Badegäste, die zuvor stetig geschwommen, auf ihren Handtüchern gelegen oder illegalerweise vom Rande ins Becken gesprungen waren. Manche jubelten. Manche zogen sich schnell an im warmen Regen, der nun schön herunterfiel. Oft wurden keine Handtücher dabei verwendet. Ein Aufsässiger hüpfte auch noch ins Wasser. Und wieder sprach der Bademeister. Diesmal verlangte er die Räumung des Innenbereichs des Prinzenbads. „Ich wiederhole …“ Und die Badegäste hasteten mit ihren Taschen und Handtüchern zu den Dusch- und Umkleidebereichen, um sich unterzustellen. Der leere Innenbereich im Regen sah großartig aus zwischen Donnern und ein paar Blitzen, die aber weiter weg waren. Am Ausgang traf ich den Dichter Rainald Goetz. Er trug ein weißes Hemd und lobte das Gewitter.

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Am Kottbusser Tor standen die Junkies in kleinen Grüppchen und tranken Bier. Manche stritten miteinander in diesem leiernden Junkietonfall. Oft ging es dabei um Beziehungsfragen; dass sie mit dem oder er mit der da rumgeknutscht hätte, ganz unmöglich jedenfalls. Benjamin schrieb, glaub ich, einmal, dass Drogensüchtige so etwas Jugendliches hätten. Die Junkies schienen tatsächlich das, was man Schulhofthemata nennen könnte, zu bevorzugen oder spezialisiert auf die Fragen, die morgens in BZ und nachmittags in den Privattalkshows erörtert werden. Sie repräsentierten also das, was von oben als Unterschichtfernsehen denunziert wird. Viele Junkies scheinen auch eigentlich Alkoholiker zu sein, die außerdem noch Heroin nehmen, damit sie mehr trinken können.

In der Blauen Stunde sah die Oranienstraße aus wie Mitte. Überall waren zu viele Menschen, Lokale und Ausstellungseröffnungen, durch die man sich drängen musste. Im größten Trubel saß eine Frau um die vierzig im Schneidersitz auf einer Bierbank und meditierte mit geschlossenen Augen. So ganz entspannt wirkte sie nicht. Eher wild entschlossen, das, was um sie herum war, auszublenden.

„Per Anhalter durch die Galaxis“ ist nicht wirklich gut. Es machte aber Spaß, im halb leeren Kino zu sitzen und Thesen zu entwickeln. Etwa die, dass der Film das ist, was einmal Rudi-Dutschke-Straße sein soll (ein Beleg für die Revivals der Arrivals), oder ein Ché-Guevara-T-Shirt, das man kleinen Kindern anzieht, ohne daran zu denken, dass die Ché-Guevara-Denkmäler auf Kuba fünfzig Meter hoch und aus Stahl sind. „Per Anhalter durch die Galaxis“ ist ein altbackener Hippiedrogenduzfilm für dreiundvierzigjährige Nichtraucher, die ihren Zigaretten nachtrauern. „Also letztlich eine gute Sache“ – „Genau das wollt ich sagen!“

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Das Open-Air war auf einem alten Parkplatz zwischen hohen Häusern. Ungefähr zweihundert schienen sympathisch und rauchten Bier und Joints in der Sonne. Ich war hingegangen, weil Sven Dohse auflegen sollte. Ich hatte den DJ in den Neunzigern häufig gesehen, und es war immer klasse gewesen. Es gab Frisbeescheiben, Sonnenschirme und Im-Oberteil-Tanzen. Zwischen den hohen Häusern hallte die Musik ganz schön. Am Rande saß B., der Sachbuchautor. Er war nun schon über fünfzig und erzählte, dass er immer LSD zum Schreiben benutze. Das sei sehr hilfreich. Mir erschien das etwas exzentrisch.

Ich kannte kaum jemanden und fühlte mich eher als Gast oder wie auf einem Abendspaziergang. Während irgendjemand auflegte, erzählte Alex, der jahrelang viele Veranstaltungen gemacht hatte, von den ganzen Sachen, die er dabei erlebt hatte. Darüber sollte man mal ein Buch schreiben! Über die letzten zehn Jahre hat ja keiner richtig geschrieben. Am besten sei es gewesen, als Ritchie Hawtin damals im Liquidrom in Badehose aufgelegt hatte. Mittlerweile hätte das ja zugemacht auf Grund baulicher Mängel. Man sollte es eigentlich besetzen. Das fand T. auch, ein netter weicher Typ, der früher in einem besetzten Haus in Potsdam gelebt hatte und mit seiner schwarzen Federboa aus Kunstfell um den Hals prima aussah. Ein seltsames Déjà-vu-Gefühl kam beim Tanzen vorbei. Ich erinnerte mich an 1997 und daran, wie ich mich 1997 – am frühen Morgen, auf der damals noch kleineren „Fusion“ – an die Umsonst-und-Draußen-Festivals der späten Siebzigerjahre erinnert hatte. Das waren die Höhepunkte der westdeutschen Gegenkultur gewesen. Ein Freund hatte neulich auch davon erzählt an einem Abend. Wie er, 1977 war es wohl, beim Umsonst-und-Draußen-Festival in Vlotho bei einem Sänger der Gruppe Slime Hasch gekauft hätte. Am tollsten sei dabei gewesen, dass der Musiker das Hasch in seinem Leopardenslip versteckt gehabt hatte.

Hier war auch eine prima Gegenkultur. Musik auf Parkplätzen ist ein eigenes Genre. Die Häuser machten auch mit. Sven Dohse legte vier oder fünf Stunden auf. Ganz in Schwarz, sehr eightiesmäßig, grinste der DJ André Galuzzi. Eigentlich hatte ich ihm sagen wollen, dass er im Tresorgarten viel besser aufgelegt hatte als Sven Väth, vergaß es aber. Eine Stunde lang war die Musik dann plötzlich eher so sixtiesmäßig, gitarren- und orgelverträumt. Ein Stück dann gegen Ende hatte fast so wehmütig wie Jimi Hendrix geklungen. Dann gab es eine Version von „Smells like Teen Spirit“, die in dem Stil von Nouvelle Vague gemacht war, also distanziert, leicht ironisch. Einige grinsten beim Tanzen. T. empfand das als Sakrileg. Das sei eine ekelhafte „James-Lastisierung“. Er ging zum DJ, um dem das zu sagen. Vielleicht empfand er es so, weil er mal drogensüchtig und diese Musik der Soundtrack seiner Sucht oder der damit einhergehenden Verzweiflungen gewesen war, dachte ich.

Die schöne Party wurde später dann noch im Maria fortgesetzt, während ich stundenlang im Halbdunkel immer wieder an einem Zaun entlang ging, um mein verlorenes Fahrrad zu suchen. „Geht’s dir gut?“ – „Ja bestens!“ Es ist auch ein Vorurteil zu sagen, ein Fahrrad sei gestohlen worden; vielleicht war es einfach so weggelaufen, weil es mal unter neuen Leuten sein wollte.