Keine Arbeit für Behinderte

Immer mehr behinderte Menschen in NRW sind arbeitslos. Grund ist auch der Unwille vieler Betriebe, Behinderte zu beschäftigen. Verbandsvertreter fordert für Behinderte „persönliche Budgets“

VON SUSANNE GANNOTT

Die Arbeitslosigkeit unter schwerbehinderten Menschen „ist dramatisch gestiegen“. Das erklärte gestern in Köln die Leiterin des Integrationsamts des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Helga Seel. Anlass war die Vorstellung ihres Jahresberichts. Danach waren im Juli diesen Jahres 24.171 schwerbehinderte Menschen im Rheinland auf Arbeitssuche, gegenüber 22.035 im Jahr zuvor.

Grund für die sich zuspitzende Lage ist laut Seel nicht nur der kriselnde Arbeitsmarkt. „Die Anstrengungen, Behinderte zu integrieren, haben wieder nachgelassen“, kritisiert sie. Nach der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes im Jahr 2000 „gab es die Zielvereinbarung, die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen in zwei Jahren um 25 Prozent zu senken“. Dies hätten Arbeitsagentur, Integrationseinrichtungen und Arbeitgeber „fast erreicht. Aber darauf darf man sich nicht ausruhen.“

Eigentlich sind Betriebe ab 20 Mitarbeitern laut Gesetz verpflichtet, mindestens fünf Prozent Schwerbehinderte zu beschäftigen. Tun sie das nicht, müssen sie eine monatliche Abgabe von 105 bis 250 Euro pro nicht besetztem Arbeitsplatz zahlen. Trotzdem „kommen zwei Drittel der 19.000 beschäftigungspflichtigen Betriebe im Rheinland ihrer Verpflichtung nicht nach“, konstatiert Seel. Nach ihrer Erfahrung herrschen in vielen Betrieben weiterhin große „Vorbehalte gegenüber schwerbehinderten Menschen“. So fürchteten viele Unternehmer den angeblich zu rigorosen Kündigungsschutz für Behinderte und ihre vermeintlich geminderte Leistungsfähigkeit. „Aber das sind Vorurteile, die Zahlen geben das nicht her“, sagt Seel.

Im Gegenteil. Oft lohne es sich für Arbeitgeber sogar finanziell, Behinderte zu beschäftigen, betont die Leiterin des LVR-Integrationsamts. So könne etwa eine Investition für eine neue Maschine bis zu 80 Prozent erstattet werden, wenn das Unternehmen dafür einen Schwerbehinderten einstellt. Und die beiden NRW-Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe geben nicht nur finanzielle Hilfen: etwa für Umbauten am Arbeitsplatz, technische Hilfsmittel oder notwendige Qualifizierungskurse. Es gibt fachliche Beratung für die Unternehmen und auch die Betreuung der Schwerbehinderten am Arbeitsplatz ist möglich. „Wenn es nötig ist, sitzt jemand vom Fachdienst neben dem Arbeitnehmer und hilft ihm“, erklärt Seel. Oder der LVR bezahlt dem Betrieb einen dafür freigestellten Mitarbeiter. Aber all das reicht offenbar nicht, mehr Betriebe zur Einstellung von behinderten Menschen zu bewegen.

Was also ist zu tun? Zur oft gestellten Forderung, die Ausgleichsabgabe für „unwillige“ Betriebe zu erhöhen, sagt Seel: „So weit möchte ich nicht gehen.“ Stattdessen müsse man die Arbeitgeber stärker direkt ansprechen. Bei der Integration von behinderten Jugendlichen habe das auch gut geklappt. „Gerade große Unternehmen wie Metro und RWE haben große Anstrengungen unternommen, für diese Gruppe Ausbildungsplätze zu schaffen“, lobt Seel.

Ansonsten halten sich große Firmen wie auch die öffentliche Hand „konsequent aus der Integration von Behinderten heraus“, kritisiert Wolfgang Wessels, Geschäftsführer des NRW-Landesverbands für Körper- und Mehrfachbehinderte. Nur im Mittelstand sei die Bereitschaft, Behinderte einzustellen „relativ groß“.

Trotzdem hält auch Wessels nichts von einer höheren Ausgleichsabgabe. „Man muss klappern gehen und Arbeit suchen, die einen Mehrwert produziert.“ Dafür sehe er durchaus „neue originelle Lösungen“. So gebe es seit Juli 2004 die gesetzliche Möglichkeit, Behinderten die ihnen zustehende Unterstützung komplett auszubezahlen, damit sie ihr Budget selbst verwalten. „Mit dem Geld könnte ein Behinderter zum Schreiner um die Ecke gehen und es ihm geben, wenn der ihn dafür einstellt“, erklärt er. Weil dieses Geld dann aber den Behindertenwerkstätten und Landschaftsverbänden fehlt, hätten sie wenig Interesse daran die neue Bestimmung umzusetzen. „Der Amtsleiter vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat uns deutlich gesagt, dass es bei ihm das persönliche Budget für den Bereich Arbeit nicht geben wird.“