„Der Weltjugendtag ist eine einzige vertane Chance“

Kirchenkritische Positionen sind während des Großereignisses vom 16. bis 21. August nicht gefragt, meint Tobias Raschke, Sprecher von „Wir sind Kirche-Jugend“. Anstatt Jugendliche mit Themen anzusprechen, die sie wirklich interessieren, sei die Kirche ausschließlich auf Imagepflege aus

taz: Herr Raschke, wie schätzen Sie den Weltjugendtag 2005 kirchenpolitisch ein – handelt es sich um ein harmloses Jugendtreffen oder ist es eine katholische Propagandashow?

Tobias Raschke: Der katholische Weltjugendtag präsentiert sich als eine große spirituelle Veranstaltung. Allerdings geht es natürlich auch darum, die katholische Lehrmeinung indoktrinativ an den Mann zu bringen. Für kirchenkritische Positionen ist da kein Platz. Wir von „Wir sind Kirche-Jugend“ haben uns schon frühzeitig an das Weltjugendtagsbüro gewandt und angeboten, dass wir mitmachen. Aber das hat die nicht weiter interessiert. Sie haben dann die bewährte Methode des Vatikan übernommen, indem sie überhaupt keine Antwort schickten. Bei der diesjährigen Mega-Werbeveranstaltung für den Papst wurden sämtliche Kritiker ausgeladen.

Warum gibt es eigentlich so wenig Protest von engagierten jungen Katholiken gegen den Besuch eines konservativen Kirchenoberhauptes?

Die jungen Leute kommen doch wegen der Party. Das, was der Papst dort sagen wird oder nicht sagen wird, nehmen die nicht wirklich wahr. Wichtig ist, dass man gemeinsam mit anderen Leuten dorthin fährt. Die wenigsten Sachen, die vom Vatikan kommen, sind doch jugendgerecht. Weder beteiligen sich Jugendliche an Diskussionen, noch halten sich Jugendliche an die verkorkste Sexualmoral, die vom Vatikan gepredigt wird. Ohne Zweifel suchen Jugendliche dort auch Spiritualität. Hier versucht die Kirche – marketingmäßig voll im Trend –, sich mit einem Mega-Event wie dem Weltjugendtag positiv darzustellen.

Welche Gegenveranstaltungen plant Ihre Organisation?

Ich möchte lieber von Parallelveranstaltungen sprechen. Wir ergänzen das Programm um die Punkte, die fehlen. Wir wollen mit allen, die kommen – also nicht nur mit Katholiken! – einen Dialog darüber führen, was wirklich wichtig ist für junge Leute. Der Weltjugendtag sollte wie ein Katholikentag oder ein evangelischer Kirchentag sein, wo Organisationen aus kirchlichen, aber auch aus entwicklungspolitischen Zusammenhängen mit einem Stand vertreten sind und darstellen, was sie machen. Und auf Podien die drängenden Fragen der Zeit erörtern. Das alles findet beim katholischen Weltjugendtag 2005 aber nicht statt.

Werden Mitglieder von „Wir sind Kirche-Jugend“ die offiziellen Veranstaltungen aufsuchen und sich dort in die Diskussionen einmischen?

Es gibt beim katholischen Weltjugendtag keine wirkliche Diskussion. Es ist einfach keine inhaltliche Arbeit geplant. Das fällt im Gegensatz zum Katholikentag fast völlig aus. Alle Veranstaltungen, die als Dialogveranstaltung gekennzeichnet sind, werden von kirchlicher Prominenz bestritten, die dann dort ihren Senf verzapft. Ein Weltjugendtag für alle, der wirklich für alle da wäre, müsste viel mehr Jugendliche bei den Entscheidungen und bei der Organisation mit einbeziehen. Von Jugendpartizipation kann hier keine Rede sein.

Wer besucht bei Weltjugendtagen Parallelveranstaltungen?

Wir suchen den Dialog jeweils in der Innenstadt, weil die wegen des Events voll ist. Dort bauen wir Treffpunkte auf. Jeder, der durch die Stadt läuft, kann da reinschneien und mit uns diskutieren über Themen, die ihn bewegen. Wir wollen mit Jugendlichen über wichtige Fragen ins Gespräch kommen. Etwa über die Forderung, Kirchenämter auch Frauen zugänglich zu machen. Umfragen zufolge sind etwa 75 Prozent junger Katholiken ohnehin dieser Meinung. Überhaupt stimmen uns die meisten Jugendlichen in Deutschland in Fragen der Kirchenreform zu. Das wirft also die Frage auf: Für wen spricht eigentlich der Papst? Für wen spricht der Weltjugendtag außer für sich selbst?

Also bringt ein solches Treffen den Jugendlichen nichts?

Der Weltjugendtag, so wie er sich präsentiert, ist eine einzige vertane Chance. Er wäre doch die Gelegenheit, ein paar hunderttausend Leute zusammen zu bringen, um sie diskutieren zu lassen, womit sich eine zeitgemäße Kirche beschäftigen sollte. Wie etwa könnte die Kirche im dritten Jahrtausend aktiv werden, um weltweit gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Das geschieht zwar, vor allem im sozialen Bereich. Aber es besteht nach wie vor ein Widerspruch darin, wie sich die Kirche nach außen präsentiert und wie sie sich nach innen verhält. Was passiert zum Beispiel mit Priestern, die sich laisieren lassen wollen, die heiraten wollen, die homosexuell sind – und davon gibt es gar nicht wenige, auch im Bistum Köln. Die Kirche muss sich hier neu orientieren. Ein Papst wie Benedikt XVI. ist da nicht wirklich der Mann, der die Zukunft repräsentiert. Der wird aber beim Weltjugendtag versuchen, möglichst cool rüberzukommen. Ich wünsche mir aber einen Papst, der nicht nur charmant in die Kameras lächelt, sondern der den jungen Leuten zuhört.

Welche Rolle werden die Modernisierer bei einem Weltjugendtag in 20 Jahren spielen?

Ich würde mir wünschen, dass ein katholischer Weltjugendtag sich dann nicht mehr in der kruden Art kommunistischer Weltjugendfestspiele präsentiert, sondern wie ein ökumenischer Kirchentag. Wo alle Religionen und Konfessionen willkommen sind, um mit einander ins Gespräch zu kommen, um nicht nur die eigene, sondern auch die andere Konfession besser kennen zu lernen. Wenn dort ein dissidenter Theologe wie Hans Küng mit einem wie Ratzinger diskutierten würde – das wär doch mal was! INTERVIEW: HENK RAIJER