Hilfe überschüttet Niger, und keiner hat den Überblick

Bei der Hungerhilfe für Niger kann jeder machen, was er will. Das ärgert Nigers Regierung so, dass sie von der Hungersnot nichts mehr wissen will

NIAMEY taz ■ Es regnet in Niger. Die Landschaft ist sehr grün. Auf dem Petit Marché der Hauptstadt Niamey gibt es reichlich Lebensmittel: Bohnen, Erdnüsse, Gari.

Aber das Grundnahrungsmittel Hirse ist kaum zu finden, und die Preise sind ein Vielfaches des Üblichen. „Die Leute kaufen wenig, weil sie es sich nicht leisten können“, sagt ein Händler. 2,5 Millionen Menschen in Niger – ein knappes Viertel der Bevölkerung – sind nach UN-Angaben vom Hunger bedroht.

In den letzten zehn Tagen hat Niger soviel Hilfsgelder erhalten wie sonst in einem ganzen Jahr. Flugzeugladungen voller Helfer kamen regelrecht über Nacht. Wie viele, weiß keiner genau. „Im Prinzip kann jeder ins Land kommen und machen was er will“, sagt Zuhal Ayoub vom UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Hilfe (OCHA). „Eigentlich müsste sich jemand an den Flughafen stellen und mitzählen.“

Das UN-Büro arbeitet jetzt an einem zentralen Register der Helfer. Die Sudanesin Ayoub hat zuvor unter anderem in Liberia und Sierra Leone gearbeitet. „In diesen Ländern haben die Hilfsorganisationen oft keine staatlichen Strukturen angetroffen und konnten letztlich alle Entscheidungen selbst fällen“, sagt sie.

OCHA kam vor einem Monat nach Niger. Die UN-Koordinatoren werden gerufen, wenn die Arbeit vom UN-Welternährungsprogramm WFP und anderen UN-Agenturen die Kapazität der UN-Ortsbüros übersteigt. Im Niger koordinieren drei OCHA-Mitarbeiter die humanitäre Hilfe – nicht nur die der UN-Organisatonen, sondern theoretisch auch die der privaten Hilfswerke. Wöchentlich melden sich etwa ein Dutzend neu angekommene Hilfsorganisationen bei OCHA. Sie werden registriert, man sagt ihnen, an welches UN-Büro sie sich wenden sollen.

Mit dem Anlauf der internationalen Hilfsmaschinerie haben sich Parallelstrukturen gebildet. Der Staat hat seine eigene Planung, das WFP eine andere. Das kann zu Konflikten führen. Anfang August erklärte das WFP, es bedürfe zur Bewältigung der Krise dreimal so viele Hilfsgelder wie zunächst geplant. Dagegen erklärte Nigers Präsident Mamadou Tandja, die Krise sei so gut wie bewältigt.

Diese Widersprüche konnten entstehen, weil die Zusammenarbeit stark kriselte. Es ging soweit, dass das WFP die Regierung aus ihrer Planung herausnahm. Das war ein Grund für die Verdreifachung des WFP-Appells.

Mittlerweile reden die beiden Seiten wieder miteinander. Als Forum des Austauschs dient die „Cellule Crise Alimentaire“, ein runder Tisch von Regierungsvertretern und Hilfswerken, der sich einmal wöchentlich direkt neben dem Amtssitz des Premierministers trifft.

Aber letztlich läuft die Hilfe nebeneinander. So kommt in einer Region schon die volle Hilfe der UNO an, während etwas weiter entfernt gar nichts oder nur unzureichende staatliche Hilfe eintrifft. Mancherorts machen sich Hungernde vergeblich auf den Weg zu einer angeblichen Verteilung. Zudem weiß keiner, wie viele Tonnen Nahrungsmittel im Land tatsächlich eintreffen. Die Hilfswerke machen ihre Logistik allein. In der nigrischen Presse wird von Re-Export von Nahrungsmittelhilfe durch einheimische Geschäftsleute in Nachbarländer berichtet. Lebensmittel sind in Niger heute ein Spekulationsobjekt.

Trotzdem sehen viele im Niger die externe Dominanz in der Hungerhilfe als Hauptproblem. Präsident Mamadou Tandja machte Anfang dieser Woche keinen Hehl aus seiner Meinung: Von einer Hungersnot zu reden, sei „falsche Propaganda“ und eine „täuschende Kampagne“ bestimmter Hilfswerke und Oppositionsparteien, sagte Tandja in einem BBC-Interview. Nach wie vor stellt sich Nigers Regierung auf den Standpunkt, dass es zwar eine Lebensmittelknappheit gibt, aber nichts, was dem Krisenszenario gewisser Aktivisten entspreche.

Auch die Helfergemeinschaft ist in zwei Lager gespalten: Die Nothelfer auf der einen Seite, die seit längerem im Land arbeitenden Entwicklungshelfer auf der anderen. Mit Hirsesäcken um sich schmeißen bringe überhaupt nichts und sei eher kontraproduktiv, hört man von Letzteren. Sogar der Begriff der „Diktatur der Nahrungsmittelverteilung“ fällt.

In westlichen Diplomatenkreisen meint man in der zentralen Rolle des WFP eine neue Anspruchshaltung zu erkennen, die auf eine angestrebte Neupositionierung innerhalb des UN-Systems hindeutet. Und dass alle Seiten die Medien instrumentalisieren, ist auch allen klar. Eine UN-Mitarbeiterin sagt: „Manchmal glaube ich, es geht mehr darum, die Medien zu füttern als die Kinder.“ HAKEEM JIMO