DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Edmund, der Klotz am Bein

Warum die Bundestagswahl genauso schwierig wird wie der Kauf von Wanderschuhen

Der Kauf eines Laufschuhs ist sehr einfach. Schon beim ersten Probieren spüren Sie, ob es das geeignete Modell für Sie ist. Als erste Regel gilt: Wenn Sie den Schuh am Fuß spüren, ist es das falsche Modell. Wenn sie hingegen den Eindruck haben, keinen Schuh am Fuß zu haben, ist es der Richtige. Ein Laufschuh passt von Anfang an, es drückt nirgendwo und – ganz wichtig: von Anfang an fühlen Sie sich darin wohl.

Selbstverständlich können noch einige Fragen beim Schuhkauf aufkommen. Beispielsweise ob sie zum Stamm der Plattfußindianer gehören oder ob sich ihr Fußgewölbe nach oben biegt. Ob sie nach innen oder nach außen abrollen. Wie viel sie wiegen. Ob sie auf der Straße oder querfeldein laufen. Angesichts all dieser Fragen kann es passieren, dass sie plötzlich vor fünf verschiedene Modellen stehen.

Aber keine Angst, beim Laufschuhkauf bleibt immer noch alles sehr einfach. Laufen Sie mit jedem Modell einige Schritte im Laden auf und ab oder sogar auf einem eigens dafür eingerichteten Laufband, und in dem Moment, in dem Sie den Schuh nicht mehr spüren, wissen Sie: Das ist der Richtige.

Vor wenigen Tagen war ich auf der Suche nach Wanderschuhen, und beim Kauf von Wanderschuhen ist alles ganz anders. Der Unterschied liegt darin, dass Wanderschuhe beim Anprobieren immer irgendwo drücken. Jedes Modell an einer anderen Stelle zwar, aber sie drücken.

Ich fand kein Modell, in dem ich mich von Anfang an wohl fühlte. Das Gefühl, keinen Schuh am Fuß zu haben, kommt bei Wanderschuhen ohnehin nicht vor, im Gegenteil: Ich hatte bei allen Modellen immer irgendwie das Gefühl, einen Klotz am Bein zu haben. Ich ging mühsam durch den Laden und versuchte mir vorzustellen, ob die Druckstelle an der Ferse, am kleinen Zeh oder an der Knöchelinnenseite nach vier Stunden besser, noch aushaltbar oder zum Fiasko würde. Die Wahl von Wanderschuhen ist in dieser Hinsicht durchaus mit der kommenden Bundestagswahl zu vergleichen.

Die jüngsten Äußerungen von Edmund Stoiber, dem bayerischen Ministerpräsidenten, „nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“, sind in der Tat nur einer der vielen schweren Klötze am Bein – nicht nur für Frau Merkel übrigens –, und bei der Forderung, dass die Frustrierten letzten Endes nicht über das Schicksal Deutschlands bestimmen dürften, drückt der Schuh doch gewaltig. Da bleibt die bange Frage: Steige ich damit einen Berg hinauf, ohne Blasen zu bekommen?

Der Kauf meiner Wanderschuhe erforderte Geduld. Ich ging mit acht verschiedenen Modellen im Laden auf und ab und entschied mich schließlich für das vermeintlich „bequemste“ Modell. Es fühlte sich noch etwas hart an, nicht geschmeidig. Es war schwer und die Sohle fühlte sich zu hoch an. Ich hatte den Eindruck, kein Gefühl zum Boden zu haben. „Gute Wanderschuhe muss man eingehen“, sagte der Verkäufer. „Das gibt sich“, redete ich mir ein. Die Wanderschuhe hatten die Farbe Dunkelblau. Wunderschön, wirklich. Natürlich hat das keine besondere Funktion. Die Farbe spielt beim Aufstieg keine Rolle. Es ist nur schön anzusehen, mehr auch nicht. Ähnlich bedeutungslos verhält es sich mit den rhetorisch geschickten Botschaften der Politiker. „Nur Sie machen keine Fehler, Herr Westerwelle, sie sind der Fehler.“ Das sagte Joschka Fischer bei der Debatte zur Vertrauensfrage. Man schmunzelt, aber steige ich damit einen Berg hinauf, ohne Blasen zu bekommen?

Drei Tage war ich mit meinen neuen Schuhen unterwegs. Beim Anstieg brannte die Ferse, beim Abstieg der linke Knöchel. Mal war die Schnürung zu locker und ich stieß mit dem kleinen Zeh vorne an, bis er blau war, dann schnürte ich den Schuh fester und hatte zu starke Reibung am Schienbein. Aber ansonsten war unser Ausflug in die Berge echt gut und die Schuhe – im Großen und Ganzen – auch. Wer weiß schon, wie schlimm es gewesen wäre mit den andern Modellen im Laden? Auch meine Wanderkollegin spendete mir Trost. „Ich kaufte mir meine Schuhe vor 16 Jahren und erst nach 14 Jahren hatte ich das Gefühl, dass sie passen.“ Oh je, oh je, dachte ich, solange bleibt die neu gewählte Bundesregierung, wie immer sie aussehen mag, hoffentlich nicht im Amt.

Fragen zum Beinklotz? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH