353 Verschwundene, und niemand ist schuld

In Kongo-Brazzaville bleiben mutmaßliche Massaker an zurückgekehrten Flüchtlingen vor sechs Jahren ungesühnt

BERLIN taz ■ Einer der spektakulärsten Menschenrechtsprozesse Afrikas ist mit einem kompletten Freispruch zu Ende gegangen. In der Affäre um 353 Verschwundene aus den Zeiten des Bürgerkrieges in Kongo-Brazzaville hat ein Gericht am Mittwoch die 15 angeklagten Militärs freigesprochen. Paradoxerweise bekamen die Hinterbliebenen von 86 Opfern zugleich je rund 150.000 Euro staatliche Entschädigung zugesprochen.

Die Geschichte geht ins Jahr 1999 zurück, als in Kongo-Brazzaville ein brutaler Bürgerkrieg zwischen der Armee von Präsident Denis Sassou-Nguesso und bewaffneten Anhängern des von ihm 1997 gestürzten Vorgängers Pascal Lissouba tobte. Der Krieg forderte zehntausende Tote und hunderttausende Vertriebene. Die Demokratische Republik Kongo, deren Hauptstadt Kinshasa direkt gegenüber von Brazzaville am Kongo-Fluss liegt, nahm zahlreiche Flüchtlinge auf.

Am 10. April 1999 vereinbarten die Regierungen in Brazzaville und Kinshasa mit dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR die Rückführung von Flüchtlingen auf freiwilliger Basis. Rund 6.000 Menschen bestiegen in den Folgewochen unter UNHCR-Aufsicht in Kinshasa Fähren ins Nachbarland. Aber bei der Ankunft im „Beach“ genannten Hafen wurden immer wieder Rückkehrer als mutmaßliche Rebellen verhaftet – und viele wurden nie wieder gesehen. Zunächst zirkulierten unterschiedliche Angaben über die Zahl dieser Verschwundenen, bevor sich Menschenrechtsgruppen und Überlebende schließlich auf 353 einigten. Sie gehörten zu Gruppen, die zwischen dem 4. und 15. Mai 1999 nach Brazzaville kamen und dort festgenommen wurden. Viele wurden dann offenbar umgebracht.

„Häftlinge wurden in einen Raum gebracht, der etwa 200 Leichen enthielt“, gab amnesty international 2003 in einem Untersuchungsbericht die Erinnerungen einen Überlebenden wider. „Man befahl ihnen, daraus Stapel von je 25 zu machen. Dann wurden sie mit Benzin übergossen und angezündet. Die Asche wurde in den Fluss geworfen.“ Marie-Nicodème Nganga, 1998 bis 2000 Berater von Präsident Sassou-Nguesso, bestätigte letztes Jahr gegenüber der französischen Zeitung Le Monde: Er habe am Flussufer Leichenstapel gesehen, die von Präsidialgardisten bewacht wurden. Die Regierung bestreitet das bis heute.

2001 wurde in Frankreich aufgrund der Anzeige zweier Hinterbliebener ein Ermittlungsverfahren gegen den Generalinspekteur von Kongo-Brazzavilles Armee eingeleitet, Norbert Dabira. Kongo-Brazzavilles Regierung bestritt die Zuständigkeit der französischen Justiz und erhob Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Der wies die Klage im Juni 2003 zurück. Am 2. Februar 2004 wurde in Paris der Polizeichef von Kongo-Brazzaville festgenommen, Jean-François Ndenguet. Der kam noch in der gleichen Nacht aus der Untersuchungshaft frei, nach einem Haftprüfungstermin um zwei Uhr früh – wohl das Ergebnis politischen Drucks.

Die Ermittlungen in Frankreich wurden im November 2004 eingestellt. Zuvor hatte in Brazzaville selbst Ermittlungen begonnen. Der Richter war so regierungsfreundlich, dass die inkriminierten Generäle sich freiwillig stellten, um „die Wahrheit ans Licht zu bringen“.

Der Prozess begann schließlich am 21. Juli,. Doch für eine unabhängige Justiz ist Kongo-Brazzaville nicht bekannt. Bewaffnetes Militär saßen auf den Zuschauerbänken. Immerhin gaben mehrere Überlebende ihre Erlebnisse zu Protokoll, Familienangehörige berichteten von der vergeblichen Suche nach Verschwundenen, und immer wieder wurde klar, dass Militärs sehr wohl von den Verbrechen wussten und sie guthießen. Ein Präsidentenberater bestätigte sogar 199 Verschwundene. Die Verteidigung musste auf die These von Übergriffen durch Untergebene zurückgreifen.

So plädierte die Anklage immerhin gegen 7 der 15 Angeklagten auf bis zu zehn Jahren Zwangsarbeit. Aber das Gericht hat nun doch die Affäre ohne Schuldsprüche zu den Akten gelegt. DOMINIC JOHNSON