Alltag als Abenteuer

Das peruanische LOT Teatro auf Kampnagel

Der Alltag ist ein Abenteuer. Ein Berg, der mühsam nur erklimmbar ist, eine Sisyphus-Arbeit, ständig torpediert durch „Irrsinnsbefehle“ des Gehirns: „Sicherheit finde ich nur in Dingen“, rezitierte der Protagonist von Materia Material, einem Stück des zum Laokoon-Festival auf Kampnagel geladenen peruanischen LOT Teatro. Ausgeleuchtet wird darin das Innenleben des Autisten Birger Sellin, der im Alter von 17 Jahren zu schreiben begann.

Bedächtig trat der Protagonist, gedoubelt auf einer riesigen Video-Leinwand, durch eine Tür, langsam legte er sich später auf den Boden oder ein fahrendes Brett, um den Zuschauer „mitzunehmen in meine Welt“. Steine zertrümmern, Waschzwang praktizieren, irgendwann endlich, endlich Wasser, Pinsel und Blätter finden: In groben Strichen richtete das Ensemble Spots auf Sellins Innenleben, bis endlich das Schreiben als Befreiung aus dem Ich-Gefängnis gefunden ward – doch letztlich nicht zu bannen war Sellins „innerer Vulkan“, symbolisiert durch angezündetes Schwarzgestein. „Ich habe Angst vor dem Ende des Weges“, sagte der Akteur immer wieder.

Doch all dies hatte man nach Lektüre des Sellin‘schen Buchs Ich will kein Inmich mehr sein schon geahnt. Zu weiter gehenden Erkenntnissen verhalfen da weder Rezitationen noch schlichte Bilder. Wenig zielführend wirkte auch die ohrenbetäubende, maschinell wabernde Musik, die schlimmsten Nervenheilanstalts-Klischees genügen konnte. Vielleicht sollte sie ersetzen, was das Ensemble durch sein Spiel nicht auffing.

Ein Abend, der auf Video und und Musik anstelle echter Transformation der Texte in Bewegung setzte und etliche Längen barg: Defizite, die auch die ausgedehnten Rezitationen in der Schlussszene nicht kompensieren konnten. Im Gegenteil.

Petra Schellen