Liebe auf Distanz

AUS KÖLN PHILIPP GESSLER

Die Frage ist einfach – aber weil sie nicht wissen, was sie darauf antworten sollen, kichern die Zwillingsschwestern Patricia und Andreia Calisto aus Lissabon erst einmal los. Ist ihnen der neue Papst Benedikt XVI. sympathisch? Patricia windet sich zu einer Antwort durch: „Wir kennen ihn ja nicht so gut“, meint die 17-Jährige umständlich. Man sei so gewohnt gewesen an seinen Vorgänger Johannes Paul II. „Es ist etwas seltsam“, sagt sie, „aber wir werden uns an Benedikt XVI. gewöhnen.“ Äußert sich so Sympathie?

Mit einer großen Abschlussmesse bei Frechen im Umland von Köln ist der Weltjugendtag zu Ende gegangen – und zumindest die Zahlen waren mal wieder gigantisch: Über eine Million Gläubige sind auf einem riesigen Feld zusammengekommen. Es war die aller Wahrscheinlichkeit nach größte Versammlung von Christen in der deutschen Geschichte. Etwa 500.000 meist junge Menschen aus aller Welt hatten die Nacht zuvor auf diesem so genannten Marienfeld übernachtet. Patricia und Andreia gehörten auch zu ihnen, eingehüllt, wie die meisten hier, nur in Schlafsäcke. Um IHN anzubeten, wie das Motto des Weltjugendtages hieß.

IHN meinte, ein Wort aus dem Matthäus-Evangelium aufnehmend, Jesus Christus. Nicht etwa Benedikt XVI. Das zu betonen ist vielleicht nötig, denn seit Gründung der Weltjugendtage durch Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. 1986 wurden diese katholischen Glaubenstreffen immer mehr zu popkonzerthaften Massenevents mit einem Star: dem Papst, der in manchmal geradezu ekstatischer Weise angehimmelt wurde. Stadionchor-Slogans wie „Gio-va-nni Pau-lo“, die auch in Köln noch skandiert wurden, sprechen für sich.

Und „Be-ne-de-tto“? Auch diese Rufe gab es in Köln zuhauf, am Ende des Weltjugendtages etwas mehr als zu Beginn. Vielleicht weil der Papst im Laufe der Veranstaltung etwas an Spontaneität gewann: So erlaubte er sich etwa, bei seiner Begrüßungsansprache in der Abschlussmesse ein wenig entschuldigend zu betonen: „Ich wäre gerne mit dem Papa-Auto durch das ganze Gelände gefahren, um jedem Einzelnen nahe zu sein. Wegen der schwierigen Wege ging es nicht.“ Dies war wohl mehr als eine höfliche Floskel, wie jeder bestätigen kann, der gesehen hat, welches fast lebensgefährliche Gedränge es um das Papstmobil gab und wie sehr der zurückhaltende Pontifex Maximus durch die Panzerscheiben hindurch mit viel Winkerei Kontakt zu den jubelnden Gläubigen suchte.

Benedikt XVI. erreichte in diesen Kölner Tagen die Herzen der jungen Menschen nur mühsam – Johannes Paul II. flogen sie zu. Am meisten Applaus erntete der neue Papst immer dann, wenn er auf seinen charismatischen Vorgänger Bezug nahm. Oder schlicht, wenn er sich in den Sprachen der größten Pilgergruppen äußerte, also in Deutsch, Italienisch und Spanisch. Diese Zurückhaltung der jugendlichen Massen lag auch daran, dass seine Predigten leicht ins Professorale abrutschten, samt lateinischen und griechischen Einsprengseln wie „mysterium iniquitatis“, „ad-oratio“ oder „proskynesis“. Und ob es so eine tolle Idee ist, eine Predigt vor einer Million Menschen vor Ort und weiteren Millionen am Fernseher vor allem für einen Appell zum sonntäglichen Kirchenbesuch zu nutzen, ist Geschmackssache.

Nein, die große Liebe ist nicht ausgebrochen zwischen dem Papst und „seiner Jugend“, wie ihm gleich mehrere Bischöfe weis machen wollten. Michelle Tobin (21) aus Ridgewood im US-Bundesstaat New Jersey nennt Benedikt XVI. auf dem Marienfeld „warm und väterlich“ – aber „geliebt“ hätten sie Johannes Paul II. Zehn Meter entfernt meint Lambert Kovadio-Tiacoh (20) aus Nantes, man solle Benedikt XVI. Zeit lassen, sein Charisma zu entwickeln. „Außerdem ist es wichtiger, was er für die Kirche tut.“ Gleich daneben liegt Jakuba „Kuba“ Fornalik, ein punkig angehauchter 17-Jähriger aus Tychy in Polen. Joseph Ratzinger sei wie Johannes Paul II. „auch ein großer Mann“. Außerdem sei er offen für junge Menschen. Und vielleicht sage er ja auch noch etwas zu Johannes Paul II., wirft Kubas Freundin ein.