Merkel muss weiter verteidigen

Die Kritik an Kirchhof gewinnt an Fahrt. Inzwischen melden sich auch in der FDP skeptische Stimmen. Sein Familienbild sei „überholt“

BERLIN taz ■ Er kam und verstörte: Paul Kirchhofs Wertewelt kreist um Hausfrauenglück, Kinderlosen- und Homoschelte. Positionen, die nun eine Debatte entfachen. Ist er ein hoffnungslos Gestriger fernab der Mehrheitsmeinung?

Der mögliche Koalitionspartner FDP immerhin ist wenig entzückt von so viel Rückwärtsgewandtheit. „Das Familienbild von Herrn Kirchhof ist von der Wirklichkeit längst überholt“, sagt die FDP-Familienpolitikerin Ina Lenke der taz. „Er richtet den Fokus zu einseitig auf die Ehe.“ Gerade Kirchhofs Mutterkult befremdet die FPD-Politikerin: „Kirchhof sagt: Die Muttersprache lernt das Kind am besten bei der Mutter. Ich finde: Es kann auch der Vater oder eine gute Tagesmutter sein.“ Ihr Resümee: „Wir folgen weder der Familienpolitik der Union noch der Kirchhofs. Sie werden der Vielfalt des Lebens nicht gerecht.“

Zwar hält sich Kirchhof derzeit mit allzu markigen Worten zurück. So hofft die DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer auf die läuternde Wirkung des Politikeramts: „Privat kann Herr Kirchhof ja gern jedes mögliche Familienbild haben. Als Politiker aber muss er sich damit auseinander setzen, was die Mehrheit der Menschen will“, sagte sie der taz. So wünschten sich meisten Frauen, gleichberechtigt am Berufsleben teilzuhaben. „Als Finanzminister müsste Kirchhof mehr Geld für Kinderbetreuung und Ganztagsschulen bereitstellen. Er müsste auch dafür sorgen, dass Partnerschaften – homo- wie heterosexuell – nicht diskriminiert werden.“ Der Schwulen- und Lesbenverband bezweifelt, dass ein solches Umdenken möglich ist. Kirchhof sei „ein Rückschritt in die Fünfzigerjahre“, so Geschäftsführer Klaus Jetz. Mit seiner Berufung hätten sich in der Union „die Gegner einer fortschrittlichen Homopolitik durchgesetzt“. Gerhard Engelbrecht vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kritisiert Kirchhofs Äußerungen zur Kinderlosigkeit. „Frauen dürfen nicht auf das Kinderkriegen reduziert werden.“ Ein Urteil, das auch Bert Rürup, Chef des Wirtschaftsweisen, teilt. „Moderne Familienpolitik hat nichts mit pronatalistischer Bevölkerungspolitik gemein. Auf ein Kind zu verzichten ist eine zu respektierende Entscheidung.“ Das Gros der Menschen aber wünsche sich Kinder und Karriere. Eine moderne Familienpolitik müsse diesem „Zieldualismus“ genügen.

Einzig ein Punkt in Kirchhofs Vorschlägekatalog findet derzeit einigen Anklang: die Forderung nach einem kostenlosen Kindergartenbesuch. Sowohl Lenke als auch Engelen-Kefer findet das teilweise bedenkenswert.

Ansonsten aber stellte sich gestern lediglich Angela Merkel vor Kirchhof. Dass ihr Kompetenzmann die Homoehe eine „Pervertierung des Verfassungsauftrags“ nannte, sieht sie nicht als Problem. Es sei „bekannt, dass Professor Kirchhof den Schutz von Ehe und Familie besonders würdigt“. Merkel stellte jedoch klar, dass die Union keine Abschaffung der Homoehe plane. Sie habe „nicht die Absicht, hier Gesetze zurückzunehmen“. COS, RAL