Schlechte Regungen sind uns näher

In dem Regiedebüt „Die ungleichen Schwestern“ von Alexandra Leclère wird die Rivalität unter Schwestern ergreifend genau studiert

Wie aus Defensivität Stärke und aus Dominanz Verletzlichkeit werden kann, führen Huppert und Frot mit ergreifender Genauigkeit vor

Geschwister zu haben hat Vor- und Nachteile. Ein Nachteil ist zum Beispiel: Man muss ihnen Zuneigung entgegen bringen, Freude zeigen, wenn sie ihren Besuch ankündigen, und sie unter Vortäuschung von Selbstlosigkeit bei sich aufnehmen. Dem gegenüber steht ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Sie müssen dasselbe für einen tun. Nirgendwo liegen Ehrlichkeit und Verstellung, Liebe und Rivalität so nah beieinander.

Das Schöne an „Zwei ungleiche Schwestern“, dem Debüt der französischen Regisseurin Alexandra Leclère, ist, dass der Film für diese Doppelbödigkeiten ein Bewusstsein hat. Martine (Isabelle Huppert) scheint ganz genau zu wissen, dass sie nicht „zufällig“ die Ankunft ihrer Schwester Louise (Catherine Frot) vergessen hat. Als sie verspätet aufbricht, um sie am Bahnhof abzuholen, bestätigen widrige Umstände – Stau, Parkplatzmangel – noch ihren Widerwillen. Man kann an Hupperts Oberlippe förmlich ablesen, wie ihre Figur das eigene Unvermögen auf verdrehte Weise als aggressiven Akt der Schwester auslegt. Die folgende Begrüßung halbherzig zu nennen, wäre noch Schönrederei. Wie der deutsche Titel recht plakativ ankündigt, stoßen hier zwei sehr ungleiche Temperamente aufeinander. Huppert spielt die kühle und elegante Pariserin Martine, Frot die frische, aber ungelenke Provinzlerin. Zurückhaltend und scharfzüngig die eine, herzig drauflos babbelnd die andere, würde die Komödie schnell langweilig, wenn es der Film dabei beließe, die beiden gegeneinander auszuspielen. Doch er macht nach und nach sichtbar, dass ihre Ungleichheit kein Wesenszug, sondern eine Konstellation ist: Die eine kann nur das sein, was die andere nicht ist. Das macht den Konkurrenzdruck unter Schwestern so groß.

So sieht sich der Zuschauer hineingezogen in den Konflikt: Einerseits würde man sich gern auf die Seite der sympathischen Louise schlagen. Zumal die in der Kleinstadt gebliebene Kosmetikerin ein leichtes Ziel des Spotts darstellt für Martine, die es in eine Ehe mit einem wohlhabenden Mann nach Paris geschafft hat. „Bist du noch die Königin der Epilation?“ Mit vorsichtigem Gleichmut nimmt Louise solche Demütigungen hin, denn in ihrem Leben hat sich Erfreuliches getan: Sie hat den Mut gefunden, den Mann ihres Lebens anzusprechen, und darüber einen Roman geschrieben, den sie jetzt in Paris einem Verleger verkauft. Als sie davon bei einem Abendessen erzählt, nimmt sie alle für sich ein. Bis auf die Schwester natürlich, die daneben vor Neid und Missgunst fast erstickt.

Das ist die andere Seite: Louise mag sympathischer sein, doch Martine und ihre schlechten Regungen sind einem näher. Man würde diese Schwester auch hassen, man würde ebenso ihren Roman nicht lesen und wenn, dann spät und heimlich. Man würde sich ebenfalls nur ein beiläufiges „Wie geht's?“ abringen, nachdem Louise vom Termin beim Verleger zurückkommt, weil man den Erfolg der kleinen Schwester nur schlecht ertragen könnte. Und würde sich wiederum auf paradoxe Weise gedemütigt fühlen dadurch, dass die gar nicht erst versucht, ihren Triumph auszukosten. Wie aus Defensivität auf einmal Stärke wird und aus schnippischer Dominanz fragile Verletzlichkeit, das führen Huppert und Frot mit ergreifender Genauigkeit vor. In seiner Machart ist der Film sonst kaum von anderen glatten Komödien zu unterscheiden, durch das Schauspiel der beiden Frauen aber wird ein Psychodrama von Ingmar Bergmann’schen Dimensionen daraus.Die Mechanik der andlung ist absehbar: Während die kleine Schwester aus der Provinz reüssiert, kann die ältere nicht mehr verdrängen, wie leer ihr vermeintlich erfolgreiches Leben ist. Doch die Regisseurin hat Erbarmen mit ihr: Martine muss sich nicht bekehren. Der Film belässt es dabei, ihr und uns ihren Schmerz bewusst zu machen. Was erstaunlich gut tut. Unüblicherweise bringt also kein klebriges Überbrücken der Unterschiede die Schwestern am Ende zusammen. Louise verabschiedet sich von Martine mit einer Geste, die „Ich kenn' dich doch zu gut“ zu sagen scheint. Sie wirkt halb drohend und halb tröstend. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. BARBARA SCHWEIZERHOF

„Zwei ungleiche Schwestern“. Regie: Alexandra Leclère. Mit Isabelle Huppert, Catherine Frot. Frankreich 2004, 93 Min.