Das linke Markenprodukt

Lafontaine, ein Privatjet und die Linke: Was wäre besser geeignet, um die Tugend der Bescheidenheit wieder aufleben zu lassen? Leider aber war Armut noch nie der Orden der guten Menschen

VON JAN FEDDERSEN

Neid ist ein unschöner Charakterzug – und doch, ihn kennen alle: Was der andere hat und man selbst nicht, wird begehrt, ersehnt. Nicht immer, aber meistens. Produktiv gewendeter Neid drückt sich in Ehrgeiz aus, um auch zu haben, was vorläufig nur der andere hat. Nun mag man mit Erich Fromm einwenden, dass das Sein doch edler sei als das Haben: eine reine Trostideologie, die unerquicklicherweise überwiegend von jenen gepriesen wird, die nicht haben und nicht zu haben vermochten.

Jedenfalls haben Linke, egal welcher Provenienz, ob aus realsozialistischem, sozialdemokratischem oder alternativem Milieu, den Umstand, dass die Reichen haben und die Armen nur sind, hauptsächlich auf zwei Weisen begreifen wollen. Die einen fanden, dass die Reichen arm werden sollen, damit es ihnen geht wie den Armen und es diesen dann besser geht. Die haben Juwelen – wir nicht: Dann sollen die auch nicht haben. Die anderen antworten großzügiger. Die haben Schmuck – und wir nicht: für das Recht auf Juwelen für alle.

Meist jedoch, in den politischen Scharmützeln des Alltags, galten Linke, die solvent waren, die ihre Mittel erbten oder sich (meist im „bürgerlichen“ Sektor) erarbeiteten, als verdächtig. So wie jetzt Oskar Lafontaine. Die Springer-Presse geißelt seit Tagen, er habe, im Urlaub auf Mallorca weilend, bei einem „Bild-am Sonntag-Forum“ nur mitmachen wollen, wenn er so zeitig wie möglich zu seiner Familie komme. Und weil alle Linienmaschinen ausgebucht waren und die seitens der BamS-Redaktion vorgeschlagenen Alternativen der Linkspartei ihm nicht zusagten, ließ er nach einem Privatjet fragen. Die Zeitungsredaktion mauerte, durchaus geizhalsend: Das sei zu teuer. So blieb Lafontaine auf Mallorca: Allein schon, um sich von den Springerleuten nicht die Bedingungen diktieren zu lassen.

Sollte das Publikum ihm deshalb nicht Respekt zollen – statt, wie von Springer erwünscht, vor Empörung zu platzen? Immerhin hat „der Napoleon von der Saar“ (PDS-Denker André Brie) geschafft, woran man lange arbeiten muss: es nicht nötig zu haben. Denn unbestritten ist doch, dass die BamS ihn wollte, nicht Lafontaine die BamS.

Aber dies ist schwer zu vermitteln. Hängen bleibt beim Publikum nun lediglich, dass Lafontaine seiner Allüren wegen nicht glaubwürdig sein kann: Er predige Leitungswasser und trinke Jahrgangswein. Es gibt viele gute Gründe, den früheren SPD-Vorsitzenden für einen Demagogen zu halten, für eine ultrabeleidigte, rachsüchtige Leberwurst, für einen Utopisten ödester Theorieprovenienz: Dass er aber bislang verschwiegen habe, das gute Leben zu mögen, es anzustreben – und zu genießen, ist nicht überliefert. Und das ist auch nicht zu kritisieren.

Im Gegenteil verkörperte Lafontaine wie kein anderer in der Sozialdemokratie der Achtziger das, was später Toskanafraktion geheißen wurde. Gänsestopfleber statt Leberwurst, Filet Mignon statt Kotelett, Balsamico statt (Putz-)Essig. Er war der Fleisch gewordene Ausdruck einer linken Mentalität der materiellen Verheißung, die mit dem Graubrotigen im Sinne einer Dolce Vita brach. Symbolisiert war durch ihn, dass die Arbeiterbewegung überhaupt nur diesen einen Kern ihres Strebens in sich trägt: Unser Leben ist trist, die Reichen sollen machen, was sie wollen – aber alles, was die haben, wollen wir auch. Wir wollen es besser haben, her mit dem guten Leben – und dem Ende von notgedrungener (eben nicht selbst gewählter) Sparsamkeit. Der Ballermann (Sangria mit dem Strohhalm aus dem Plastikeimer!) als Zwischenschritt einer Urlaubsform, die am Ende sich doch auch die Villa ersehnt, in ihr Champagner aus Flöten trinkend, aus der man – wichtig!, wichtig! – mal eben nach Deutschland im Privatjet ausgeflogen wird.

Lafontaine nun die Wohlhabenheit vorzuwerfen, ist übel: Vor allem über die Springerpresse – die ihn gegen Rot-Grün als Kolumnisten einzukaufen beliebte – hat er sein Geld verdienen können, wenn nicht direkt durch sie, dann über die Popularität, die sie ihm verschaffte.

Die Kampagne überhaupt hat den Charakter antiaufklärerischen Aberglaubens: Dass Linke eigentlich die besseren Protestanten sind. Die Verzichtsprediger und Moralisten von der Sorte, dass Armut der Orden der guten Menschen sei. Wenn André Brie jetzt beteuert, das Leben des Oskar Lafontaine sei „unsereinem“, also den gewöhnlichen DDR-geprägten PDS-Kadern, der Bevölkerung auf dem Territorium der früheren DDR überhaupt, „fremd“, dann spricht er wahr, denn Neid war in der Arbeiter- und Bauernrepublik suspekt, Missgunst der psychische Aggregatzustand, den niemand provozieren wollte. Wenn einer mehr hatte als der andere, konnte es nicht mit rechten Dingen zugehen: Das war der Common Sense, das ist der linksprotestantische Urglaube, der Pietismus leib- und sinnenferner Gemüter. Bei Lafontaine, persönlich gesehen, geht alles mit sehr guten Dingen zu. Er hat die Gesetze des Kapitalismus verstanden – und aus sich selbst ein Markenprodukt gemacht und also viel Geld verdient. Na und? Würde an seiner Stelle jeder machen.