„Kino macht Mut zum Widerstand“

Torsten Frehse

„Der Markt beweist immer wieder, dass er sich nicht selbst regulieren kann. Es gibt so viele schlechte Filme, die im Kino landen. Genauso gibt es Filme,die nicht entdeckt werden“„Kino ist der Ort der Illusionen. Diese Illusionen durch Utopien zu ersetzen ist spannend. Filme können, wenn sie Emotionalität ehrlich transportieren, den Menschen eine bestimmte Art von Gesellschaft als Utopie darstellen“

Eigentlich will er nicht über Politik sprechen – ganz ausblenden lässt sie sich in seinem Geschäft aber nicht: 1997 hat Torsten Frehse (32) mit seinem Partner Wulf Sörgel den Filmverleih „Neue Visionen“ gegründet. Er bringt eine Mischung aus kleinen Produktionen, Filmkunst-Blockbustern und Klassikern ins Kino – darunter „Casablanca“ und Streifen von Godard sowie Ken Loach. Nicht nur kommerziell ist der Verleih – dessen Logo ein roter Stern ist – erfolgreich: Zum zweiten Mal in Folge erhält „Neue Visionen“ am 31. August jenen Preis der Bundesregierung, mit dem sie Verleiher für ihr Engagement auszeichnet.

INTERVIEW TINA HÜTTL
UND GEREON ASMUTH

taz: Herr Frehse, Kinofans kennen den Oscar und den Golden Bären. Sie bekommen nun schon zum zweiten Mal in Folge den Verleiherpreis der Bundesregierung. Interessiert das – außer Ihnen – in der Branche jemanden?

Torsten Frehse: Es ist erstaunlich, wie viele Leute diese Randnotiz in einer Zeitung wahrnehmen. Und es gibt wirklich Leute, die uns nach dem Kinobesuch mailen: „Ich freue mich schon auf den nächsten Film von Euch.“

Neue Visionen heißt Ihr Verleih. Was kann ein Zuschauer erwarten, wenn er diesen Namen auf der Leinwand sieht?

Mit Sicherheit gute Filme. Wir haben aber keine rote Linie. Es gibt Verleiher, die sagen: Wir haben ein schwul-lesbisches Programm. Oder: Wir verleihen amerikanische Independents. So ist es bei uns nicht.

Eine rote Linie haben Sie nicht, aber einen roten Stern im Logo.

Ach, der Stern! Die meisten im Publikum denken sich dazu gar nichts, das ist gut so. Für mich ist er ein Essential, das Gefühlte, über das ich gar nicht reden will. Ich will nicht so viel über Politik reden. Unser Programm ist innerhalb der Linken der totale Gemüsegarten. Klar, da gehören neben den ausdrücklich politischen auch sozialkritische Filme dazu, osteuropäische und experimentelle. Aber auch Filme, die eine bestimmte Art von menschlichem Zusammenleben propagieren – auch mal ein Liebesfilm. Und das so genannte junge Deutsche Kino hat uns an einer bestimmten Stelle auch interessiert.

Der Jury gefällt die Qualität Ihres Gemüsegartens.

Die Jury wird nicht aus diesem Blickwinkel geprüft haben; sie dürfte uns auch definitiv nicht wegen der politischen Filme ausgewählt haben. Sie hat unser Engagement und unsere Erfolge im Filmkunstbereich gewürdigt. Das ist auch richtig so.

Wie findet man solche Filmkunstblockbuster?

Das ist ein harter Kampf. Wir gehen auf Festivals, Märkte und zu Produktionsfirmen. Doch leider stehen wir bei den Produzenten, die interessante Arthousefilme haben, nicht an erster Stelle. Meistens zählt dort die Höhe der Mindestgarantie, die einige andere Verleiher bieten. Manchmal bekommt man auch das Vertrauen der Produzenten, weil man schon mal mit dem Film eines Regisseurs gut gearbeitet hat. So konnten wir etwa „Just a kiss“ von Ken Loach herausbringen, obwohl sich weitaus größere Verleiher dafür interessiert haben.

Brauchen Filme den Verleiher als Geburtshelfer, oder setzt sich ein guter Film automatisch durch?

Der Markt beweist immer wieder, dass er sich nicht selbst regulieren kann. Es gibt so viele schlechte Filme, die im Kino landen. Genauso gibt es Filme, die nicht entdeckt werden. „Verrückt nach Paris“, unseren bisher größter Erfolg, wollte kein anderer Verleih haben. Drei Schwerstbehinderte in der Hauptrolle, das war für viele Kassengift. Der Film hat aber eine Utopie, die mehr Wert ist als Stars. Er zeigt wirklich einen Traum von einem freien Leben der Behinderten. Das hat sich immerhin bei 170.000 Zuschauern festgesetzt.

Sie sagen, Politik, Ästhetik und Emotionen sind die Facetten, die einen Film kinoreif machen.

Nicht jeder Film muss alle drei Aspekte haben. Worum es geht, ist: Kino ist der Ort der Imagination, des Träumens und der Illusionen. Diese Illusionen durch Utopien zu ersetzen ist spannend. Nicht platt nach dem Motto: aus arm wird reich. Aber Filme können, wenn sie Emotionalität ehrlich transportieren, den Menschen eine bestimmte Art von Gesellschaft als Utopie darstellen.

Gibt es einen Film mit der perfekten Mischung?

Es gibt einige, die sehr nah dran sind. Einer der wichtigsten für mich ist immer noch „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ aus dem Jahr 1929. Regisseur war Piel Jutzi, der später „Berlin Alexanderplatz“ gemacht hat. Es geht um das Lumpenproletariat und darum, dass auch eine Wohnung Menschen erschlagen kann. Eine Frau entscheidet sich aus Liebe zu einem jungen Marxisten, nicht den Weg der Prostitution zu gehen, sondern ihre eigene soziale Situation zu verändert, indem sie sich den Idealen des Sozialismus anschließt. Das ist nicht auf dem neuesten Stand des Gender-Diskurses, aber immer noch sehr bewegend.

Sie sind über die Politik zum Film gekommen. Wie war das?

Ich bin in Köpenick aufgewachsen. Dort hatten wir Anfang der 90er-Jahre eine Art alternatives Jugendzentrum aufgebaut. Das wurde einmal in der Woche von Rechten überfallen. Nachdem wir öfter die Scherben zusammengekehrt hatten, war klar: Das ist nicht die Kultur, die wir wollen. Als das Haus auch noch unter staatliche Aufsicht kam, sind wir zu zehnt in die Stadt gezogen und haben uns entschlossen, Filme zu zeigen. Einige Zeit später ist aus diesem Zusammenhang unter anderem das Lichtblick-Kino in Prenzlauer Berg entstanden.

Begonnen haben Sie da unter anderem mit frühen antifaschistischen Filmen. War das eine direkte Konsequenz aus den Erfahrungen in Köpenick?

Vielleicht. Aber mein Ideal ist, dass eine antifaschistische Grundhaltung in 95 Prozent der Bevölkerung vorhanden ist. Das muss nicht mit konkreten Erfahrungen zu tun haben. Zudem sind diese Filme auch ästhetisch interessant. Das waren richtig große Filmproduktionen.

Davon erzählt auch das Buch „Filme für die Volksfront“, an dem Sie mitgearbeitet haben. „Film als Waffe“ lautet ein Schlagwort aus den 30er-Jahren. Funktioniert das heute noch?

Es hat auch damals nicht funktioniert. Diese Filme haben aber eine Wirkung gehabt. Sie haben die permanente, auch ästhetische Revolution widergespiegelt, weil die Helden ihre gesellschaftliche Funktion verinnerlicht und das im Film rübergebracht haben. Heute sagt man: Sie waren authentische Charaktere. Darin bestand die Wirkung.

Das Lichtblick-Kino zeigt auch viele Klassiker der Filmgeschichte.

Das ist der zweite Punkt. Viel zu wenige ästhetische Schulen sind noch bekannt. Ich habe Angst, dass in ein paar Jahren ein Filmhochschulabsolvent ankommt und sagt: Ich hab so eine Idee mit Traum und Psychologie – vielleicht könnte man das ja Surrealismus nennen.

Ihren Verleih haben Sie gegründet, weil viele Klassiker wie Jean-Luc Godard nicht angeboten wurden.

Auch, aber nicht nur. Als wir 1997 anfingen, gab es etwa 300 Filme pro Jahr am Markt. Viele unabhängige Produktionen sind vernachlässigt worden. Dem wollten wir entgegentreten. Heute gibt es vielleicht 450 Filme im Jahr. Während wir früher Filme entdeckt haben, weil sie was fürs Kino sind, müssen wir heute immer mehr ablehnen, weil sie nichts sind. Manche kommen dann trotzdem ins Kino, aber nicht von uns.

Rechnet die Konkurrenz anders?

Inzwischen kommen Filme ins Kino als Werbung für die DVD oder die anschließende Fernsehausstrahlung. Viele werden produziert, nur um Abschreibemodelle nutzen zu können. Das ist krank.

Sie scheuen auch nicht mehr den Big Deal. Sie haben ein Paket mit 100 Filmen vom Hollywood-Riesen Warner Brothers im Programm.

Das hat sich so ergeben. Als wir die Godard-Filme ausgegraben haben, haben wir die Lizenzhändler kennen gelernt. Die waren beeindruckt, als sie gesehen haben, welche Zuschauerzahlen wir mit dem angeblichen Kassengift Godard erreicht haben. Und so haben wir über andere Filme verhandelt. Darunter war auch „Casablanca“. So einen großartigen Film wollte ich einfach haben.

Der war vorher nicht im Verleih?

Das ist ein Treppenwitz der Filmgeschichte. Eine Firma hatte „Casablanca“ gekauft, um bei Banken seriös zu erscheinen und Kredite zu bekommen. Die wollten den nicht verleihen.

Womit verdient man als Filmverleiher eigentlich sein Geld?

Ich bin ab und an Dozent an der Fachhochschule, da unterrichte ich 32 Stunden nur zu dieser Frage. Kurz gesagt funktioniert es so: Man erwirbt Lizenzen für einen Film, um ihn im Kino auswerten zu können. Die Garantiesumme, die man dafür hinlegt, muss er dann einspielen, zudem die Ausgaben für Filmkopien, Pressearbeit, Anzeigen, Plakate und die eigene Arbeit. Anfangs haben wir nächtelang Plakate selbst geklebt. Das haben wir jetzt aufgegeben.

Der Verleiher muss also alles vorfinanzieren.

Ja, der Kinobetreiber rechnet nach verkauften Karten prozentual mit uns ab. Er lässt sich aber oft Zeit, das Geld an uns zu überweisen.

Wie lange dauert es in der Regel?

Wegen der Flaute im Kinogeschäft verlagert sich dieser Zeitraum immer weiter nach hinten. Wenn der Kinobetreiber aber insolvent geht, dann hast du ein Problem. Es ist wie beim Poker: Wir gehen ein ziemlich hohes Risiko ein. Aber ich darf meine acht Mitarbeiter nicht gefährden und dann sagen: Huch, ich hab mich verspielt.

Dennoch haben Sie sich lange geweigert, Filmförderung anzunehmen. Gehörte das auch zur Unabhängigkeit?

Man muss aufpassen, dass man keine Subventionsmentalität entwickelt. Im schlimmsten Fall wählt man dann Filme aus, weil es dafür Geld gibt. Erst mal muss es darum gehen, ob der Film wirtschaftlich ist. Dann, wenn es Subventionen – das sind ja meistens Darlehen –gibt, kannst du diesen Film eine Stufe größer machen.

Was heißt das?

Es ist ein Unterschied, ob ein Film mit 15 Kopien oder mit 45 gestartet wird. Wenn aber 45 Kinos ihn engagiert einsetzen wollen und er so gut ankommt wie etwa „Just a Kiss“, wäre es eine Fehler, es nicht zu tun. Da macht Filmförderung einen Sinn. Interessanterweise erreichen wir, die aus dem alternativen Bereich kommen, eher den Breakeven und zahlen die Fördergelder auch zurück.

Sind Sie noch der einzige Ostdeutsche als Verleihchef in der Branche?

Inzwischen gibt es noch einen – zwei von vielleicht 145 in Deutschland. Daran merkt man, woher das Geld kommt.

Gibt es bei Ihnen ein Leben jenseits des Kinos?

Ich schaffe es nur noch einmal die Woche ins Kino. Dazu arbeite ich abends zu lang. An zwei bis drei Tagen in der Woche kümmere ich mich um meine zwei Kinder. Fürs Kino sind sie noch zu klein, aber das wird kommen.

Also doch wieder Kino?

Die Frage ist doch: Ist die Sache, die du machst, nur eine Notwendigkeit, oder willst du damit ein Ideal, eine Haltung transportieren. Einer meiner Lieblingsfilme ist „Bread and Roses“ von Ken Loach. Manche sagen, der ist zu platt. Man kann aber auch sagen, er hat komplexe Zusammenhänge so vereinfacht, dass man wieder verstehen und fühlen kann, warum Leute Widerstand gegen Ausbeutung leisten. Dieser Film hat den Leuten Mut gemacht, auf so was zu achten. Das kann Kino leisten.