Praxis entscheidet

Tiefe Gräben öffneten sich beim Kölner Festival c/o Pop: Netlabel-Macher stellten sich gegen Plattenfirmen, beim „Spex“-Geburtstag gab es Streit

VON ARNO RAFFEINER

Alles Quatsch. Um irgendeinen Überbau sei es gar nie gegangen. Man wollte einfach was machen, etwas, das ganz anders war. Die Zusammenrottung einer Hand voll Musikverrückter 1980 in Köln sei ein Lebensentwurf gewesen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit dieser, schnell wieder beiseite geschobenen, Meldung aus dem Publikum ging letzten Donnerstag im Kölner Panoramahaus eine Diskussionsrunde zu Ende. Das 25-jährige Bestehen der Zeitschrift Spex hatte dafür den Anlass gegeben, die „Conference“ der c/o Pop, des zum zweiten Mal in Köln stattfindenden Festivals für elektronische Popkultur, bildete den Rahmen. Es war bloß ein leiser Misston am Rande des Kongressteils dieses Festivals, geäußert von einem sichtlich angeheiterten Protagonisten aus der Anfangszeit von Spex, der doch plötzlich alles in Frage stellte: War die intellektuelle Abhandlung von Pop, die mit dem Namen Spex nach wie vor verbunden wird, nur ein Zufall, gar ein Missverständnis? Eine Bemerkung reichte, um im scheinbar selbstgewissen Kontext der Konferenz und des gesamten Kölner Festivals unerwartet tiefe Gräben aufzureißen.

Obwohl die c/o Pop popkulturellen Zusammenhalt szeneübergreifend, und zwar gleich in mehreren Bereichen („Music, Art, Business“) transportieren und demonstrieren will, wird sie zur Differenzmaschine. Was nur bedingt den VeranstalterInnen vorgeworfen werden kann. Vor allem das Publikum und nicht zuletzt die TeilnehmerInnen der Konferenz und der Musikveranstaltungen schreiben Grenzziehungen erneut fest. So positioniert sich beispielsweise die idealistische Selbstausbeutung für frei verfügbare Musik im Netz gegenüber der traditionellen Arbeitsweise eines Vinyllabels: Man kann die Gemeinsamkeit der jeweiligen Labelbetreiber sehen – beide bringen die Musik ihrer Artists an ein interessiertes Publikum –, sie selbst aber betonen ihre Unterschiedlichkeit.

Dasselbe passiert in den Clubs und auf Konzerten. Im Jugendpark am Rhein versinken in die Jahre gekommene Dinosaur-Jr.-Fans in Indie-Nostalgie, während junge belgische RaverInnen sich auf der Kompakt-Party im Stadtgarten die Kante geben. Der VJ ist nicht der DJ, House ist nicht gleich Techno, ein Veranstaltungsort brummt, der andere bleibt leer. Die c/o Pop feiert fünf Tage lang die Vielfalt (elektronischer) Popkultur in zahlreichen, über die gesamte Stadt verstreuten Veranstaltungen, sie kann die Widersprüche, die sie dabei selbst reproduziert, aber nicht vergessen machen. Was auch egal ist, solange sich die mit dem Festival angesprochenen Modelle bzw. Lebensentwürfe nicht gegenseitig ausschließen. Wenn z. B. Diedrich Diederichsen in den Achtzigern Popavantgarde ganz und gar zu seinem Leben machte, so bestreiten 2005 ähnliche Avantgardisten das Panel der c/o Pop Conference, in dem es um Netlabels geht.

Interessant wird es da, wo solche Lebensentwürfe und Poppraxen sich eben noch weitgehend frei von einem Überbau entfalten und damit ihrer Theoretisierung entscheidend voraus sind. Denn noch etwas bestätigte die c/o Pop Conference: Die Macht des Faktischen ist unbeugsam. Sprich: die Verbreitung und Nutzung von digitalen Inhalten im Internet, das, was Millionen UserInnen tagtäglich praktizieren, verändert das Wesen dieser Inhalte und unser Verhältnis zu ihnen maßgeblich und unaufhaltsam – und obwohl wir alle an diesem Prozess teilhaben, wissen wir halt noch nicht so ganz, was am Ende dabei rauskommt. Die Diskussionsveranstaltung zu Urheberrecht und den Creative-Commons-Lizenzen beweist genau dadurch, dass sie schlussendlich ins Leere geht, einmal mehr, dass die Tatsachen, die durch die Möglichkeiten des Internets längst nicht nur im Hinblick auf Musikkonsum geschaffen wurden, von gesetzlichen Regelungen, aber auch von unseren Denkgewohnheiten einfach noch nicht einzufangen sind.

Für die beim Kongress versammelte Abteilung des kommerziellen Musikbetriebs, für die diese Ratlosigkeit ein Dilemma darstellt, müsste vielleicht Musikdiffusion viel eher als Musikvermarktung zum zentralen Begriff werden. Die Analyse von Datenströmen und Netzwerken, Präsenz an entscheidenden Schnittstellen könnten in den Vordergrund rücken. Doch schon mit solchen Begriffen verfällt man wieder der alten Logik: Den Veränderungen werden Konzepte aufgestülpt, die gar nicht mehr passen wollen und implizit genau diese Veränderungen negieren. Interessanterweise setzen aber gerade auch Netlabels bei überkommenen Präsentationsformen an. Man denke an Traditionen wie Artwork, Geschlossenheit und Fixiertheit der Veröffentlichungen in Form von Alben oder EPs, die im Wesentlichen beibehalten werden. Viele UserInnen sind im radikalen Umsturz ihrer Handhabung von digitalen Inhalten schon weiter. Schlussendlich wird ihre Lebenspraxis bestimmen, wie diese Inhalte und damit verknüpfte Urheberrechte aussehen können.