Hartz-Korrektur ohne Wirkung

Ab Oktober dürfen Arbeitslose mehr dazu verdienen. Doch in Hamburg bleibt für viele alles beim Alten: Die zuständige Behörde sieht sich nicht in der Lage, das Gesetz pünktlich flächendeckend umzusetzen. Hilfebedürftigen geht dadurch viel Geld verloren

von Eva Weikert

Fast hätte Renate Müller (Name geändert) den Auftrag hingeschmissen: „Man hat das Gefühl, man arbeitet für lau“, sagt die Arbeitslose, die mit einem Nebenjob ihre Stütze aufbessert. Die studierte Pädagogin hat einen Honorarjob in einem Hamburger Jugendtreff. Im August stellte sie der Einrichtung 210 Euro in Rechnung, gerade mal 57 Euro darf die allein Erziehende behalten. Müller: „Das frustriert.“

Zwar sollen sich Nebenjobs für Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) schon bald wieder lohnen. So hat der Bundestag eine Gesetzesänderung beschlossen, nach der Langzeitarbeitslose ab dem 1. Oktober von ihrem hinzuverdienten Geld deutlich mehr behalten dürfen als bisher (siehe Kasten).

Doch in Hamburg gehen die meisten Betroffenen zunächst leer aus: Die zuständige Arge setzt die Hartz-IV-Korrektur nicht flächendeckend zum Starttermin um und aktualisiert laufende Bescheide nicht automatisch, wie Arge-Sprecher Uwe Ihnen gegenüber der taz einräumte. Müller verliert dadurch monatlich 70,50 Euro an zusätzlichem Honorar – „und meine Motivation, zu arbeiten, geht auch immer mehr flöten“, sagt sie.

Obwohl die Novelle bereits im Juni verabschiedet wurde und in rund drei Wochen in Kraft treten soll, tappt die Hamburger Arge noch im Nebel: „Wir haben derzeit keine Klarheit, wie wir mit der Sache umgehen“, so Ihnen. Sicher sei nur, dass keine generelle Neuberechnung der Altfälle erfolge. Als Grund nannte der Sprecher das Computersystem der Arge, mit dem es nicht möglich sei, die Nebenverdiener unter den ALG-II-Beziehern herauszufiltern. „Und selbst wenn wir das könnten“, so Ihnen, „wäre es ein enormer Aufwand, alle Bescheide umzustellen.“

Sicher sei indes, dass alle Folgeanträge nach Auslaufen der im Schnitt sechs Monate gültigen Zuwendungsbescheide nach der neuen Formel berechnet würden. Wie Ihnen erklärte, „erwägt“ die Arge aber auch zu reagieren, wenn aktuell Anträge auf Neufeststellung gestellt würden.

Die Behörde muss indes kaum befürchten, von solchen Forderungen überschüttet zu werden: „Nur ganz wenige Hartz-IV-Geld-Empfänger wissen überhaupt, dass der Hinzuverdienst ab Oktober neu geregelt ist“, berichtet Sozialpädagogin Ulla Kutter vom Kinder- und Familienzentrum (Kifaz) Schnelsen. Die Beratungsstelle wisse von „zahlreichen Fällen“, in denen durch das Versäumnis der Arge Nebenjobber frühestens im neuen Jahr zu profitieren drohten, wenn ihre Folgebescheide fällig würden. „Das ist eine Ungleichbehandlung der Arbeitslosen“, rügt Kutter.

ALG-II-Bezieherin Müller hat noch Glück: Ihre Zuwendungen werden zum Dezember neu festgesetzt, so dass sie nur zwei Monate im Nachteil wäre. Die 44-Jährige muss aber jeden Cent zweimal umdrehen, bleiben ihr nach Abzug der Miete doch nur 1.100 Euro, um sich und ihre drei Kinder durchzubringen.

Als sie im Kifaz von der Gesetzesänderung erfuhr, suchte sie sich darum juristische Hilfe: Ein Anwalt riet Müller, sofort die Neufeststellung ihrer Stütze zu beantragen, was sie vorige Woche tat. Sie sei damit eine Ausnahme unter den Hilfebedürftigen, ist sich Müller sicher, denn sie wisse nur „dank Kontakten und gewisser Bildung“ von ihren Rechtsansprüchen: „Die Arge selbst weist einen nie darauf hin.“