Aus Geldnot auf den Strich

Anlaufstellen für Prostituierte beobachten eine Zunahme der Armuts- und Gelegenheitsprostitution. Schuld seien fehlende Niedriglohnjobs, Hartz IV und die schwierige Integration in den Arbeitsmarkt

VON GESA SCHÖLGENS

Immer mehr Frauen in Nordrhein-Westfalen gehen aus Armut anschaffen, berichten Anlaufstellen für Prostituierte. In Dortmund beobachtet die Kommunikations- und Beratungsstelle für Prostituierte (KOBER), dass zunehmend ältere Frauen auf den Straßenstrich gehen, etwa um ihre Rente aufzubessern. „Andere Prostituierte sind allein erziehend und kommen mit ihrem Geld nicht mehr aus“, sagt KOBER-Leiterin Elke Rehpöhler. Eine mögliche Erklärung für die zunehmende Armutsprostitution sei die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau im Zuge von Hartz IV. „Aber das Hauptproblem ist die schlechte wirtschaftliche Lage, und dass es zu wenig Jobs im Niedriglohnsektor gibt“, so Rehpöhler. Viele Prostituierte würden lieber etwas anderes machen, fänden aber kaum freie Stellen, etwa als Kassiererin oder Putzfrau.

Von mehr schlecht bezahlten Jobs für Frauen will Mechthild Eickel von der Bochumer Anlaufstelle „Madonna“ nichts wissen. „Diese Forderung ist Quatsch. Das löst die Probleme der Prostituierten nicht“, so Eickel. „Was wir brauchen, sind mehr gut bezahlte Arbeitsstellen, Ausbildungsplätze oder Fortbildungsmaßnahmen, auch für Alleinerziehende“, sagt Eickel. Hartz IV könne durchaus eine Rolle bei der wachsenden Armutsprostitution spielen. Allerdings sei die Armut unter Frauen schon vor den Reformen stärker verbreitet gewesen, viele alleinerziehende Mütter hätten von Sozialhilfe gelebt. In Bochum gebe es zwar keinen Straßenstrich, allerdings nehme die Gelegenheits-Prostitution zu, „vor allem in den Klubs, da die Frauen in den Bordellen Zimmermiete zahlen müssen“, sagt Eickel.

Auch die Dortmunder Beratungsstelle „Mitternachtsmission“ zeigt sich über den Anstieg der Gelegenheits-Prostitution – besonders in Kneipen – besorgt. „Die Frauen bessern damit immer häufiger kleine Einkommen auf“, sagt Anlaufstellen-Leiterin Jutta Geißler-Hehlke. In der Regel seien die neuen Prostituierten keine Profis, „sie werden dementsprechend von den Kunden leicht ausgenutzt.“ Der Umstellung auf Hartz IV will Geißler-Hehlke nicht die alleinige Schuld geben, eine Zunahme der Armutsprostitution beobachte die Anlaufstelle schon seit etwa zwei Jahren.

Für die MitarbeiterInnen von KOBER sind die neuen Huren auf dem Straßenstrich schwer zu erreichen. „Sie schämen sich für das, was sie hier machen“, sagt Diplom-Psychologin Kirsten Cordes. Wichtig sei es, den Frauen berufliche Perspektiven zu vermitteln. Deswegen kooperieren die Beratungsstellen mit Arbeitsämtern, Jobzentralen und potenziellen Arbeitgebern, die bereit sind Ex-Huren einzustellen. „Viele Frauen bringen Qualifikationen mit, die vor allem bei Dienstleistungen nützlich sind“, sagt KOBER-Leiterin Rehpöhler. Die Huren besäßen eine gute Menschenkenntnis, könnten gut organisieren, verhandeln und auf Kunden eingehen.

Solche Qualifikationen allein reichen aber nicht aus. „Es ist schwer, schlecht ausgebildete Frauen mit schwieriger Vergangenheit unterzubringen“, sagt Monika Kleine, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen Köln. Man könne beispielsweise an Arbeitgeber appellieren, mehr einfache Arbeiten anzubieten. „Das muss nicht immer Ausbeutung bedeuten“, so Kleine. Die Jobs könnten durchaus der Integration von Prostituierten in den Arbeitsmarkt dienen.

Der Sozialdienst katholischer Frauen betreut in Köln einen Straßenstrich an der Geestemünder Straße, wo sich vor allem drogensüchtige Prostituierte aufhalten. „Für diese Gruppe kann man nicht genau sagen, dass es ein Hartz-IV-Problem gibt“, so Kleine. Auch eine Zunahme der Armutsprostitution könne man nicht bestätigen. Es gebe hingegen mehr Frauen mit „Multiproblemlagen“: Viele seien drogensüchtig, krank oder vorbestraft. „Eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt kann hier nur das Fernziel sein“, so Kleine. Wichtiger seien zunächst eine Entzugstherapie, eine feste Tagesstruktur und der Aufbau eines neuen Freundeskreises, denn die meisten Prostituierten bewegten sich schon jahrelang in der Szene.