Keine Halbnacktfotos

Anders als viele Familienfilme lebt Christopher Buchholz’ Dokumentation „Horst Buchholz … mein Papa“ von der Würde des Unausgesprochenen

Als ich mir „Horst Buchholz … mein Papa“ anschaute, war ich zunächst etwas skeptisch. Es gibt ja so viele familiäre Dokumentarfilme, und oft hat man das Gefühl, den Regisseuren ginge es in erster Linie darum, filmend ihren ganz persönlichen Familienirrsinn zu reparieren, auf eine Art, die den Zuschauer zum Komplizen oder Voyeur werden lässt.

Die Kamera ist dabei in erster Linie therapeutisches Instrument, das der Objektivierung, also Distanzierung dient und dem Filmer die Möglichkeit gibt, Dinge zu fragen, die er sich sonst nicht zu fragen traute, und die Befragten dazu bringt, ansonsten ungesagte Dinge zu sagen. Wenn der Film einen Preis bekommt, dann ist diese Therapie gelungen.

Therapeutisch ist dieser Film sicher auch: Horst Buchholz, der große Berliner Schauspieler der 50er- und 60er-Jahre, starb im März 2003 – zwei Jahre nachdem sein Sohn Christopher Buchholz damit begonnen hatte, den Vater immer wieder mit einer DV-Kamera in dessen Dachgeschosswohnung zu befragen. Was ist mit dir los? Warum trinkst du? Warum sagst du nie etwas? Horst Buchholz also spricht von seinem einsamen Leben. Er guckt „den ganzen Quatsch“ im Fernsehen, geht essen, weil er nicht kochen kann, und immer ist da dies quälende Gefühl des Déjà-vu.

Anders als in so vielen Familienfilmen bleibt vieles ungesagt. Es gibt mehrere Szenen, in denen Christopher Buchholz seine Mutter fragt, wie sie sich jetzt fühlt, nachdem der Vater tot ist; und sie antwortet, sie hätte schon so viel gesagt, „weil du mein Sohn bist“, aber auf diese Frage wolle sie nicht antworten. Und Buchholz selbst, den man meist rauchend auf dem Sofa sieht, deutet seine Bisexualität, das späte Coming-out – mit 50 verließ er seine Frau und zog zu einem Freund – eher an, in äußerster Knappheit. Als er 1957 Felix Krull spielte, hätte er wohl gespürt, dass das mehr war als nur eine Rolle.

Dies Unausgesprochene hat eine große Würde. Es sagt vielleicht mehr als jede ausführliche Antwort und korrespondiert irgendwie mit einer Passage, in der Christopher Buchholz aus dem Off erzählt, sein Vater hätte betrunken einmal – angesprochen auf seine Bi- oder Homosexualität – gesagt, er „ficke“ eben alles: „Tiere, Männer, Frauen“.

Dann aber stellen sich auch Fragen nach der Karriere, die so grandios begonnen, die so schnell nach Hollywood geführt hatte. Buchholz war 27 Jahre alt, als er in „Die glorreichen Sieben“ mitspielte, und 28 bei „Eins, zwei, drei“. Plötzlich der Bruch, Ende der 60er, als die neuen deutschen Filmemacher – Wenders, Fassbinder, Herzog, Achternbusch etc. – von den gestandenen Nachkriegsschauspielern nichts mehr wissen wollten. Vielleicht könnte man es mit 68 erklären, Buchholz erklärt es nicht.

Der Film erzählt auch von großen Verweigerungen: Buchholz hatte auf Viscontis Einladung, bei „Rocco und seine Brüder“ mitzumachen, nicht einmal geantwortet, weil man ihn gebeten hatte, ein Halbnacktfoto zu schicken. Später stellte sich heraus, dass nicht Visconti, sondern dessen Assistent um das Pin-up-Foto gebeten hatte.

„Horst Buchholz … mein Papa“ ist ein wunderbarer Film, mit wunderschön melancholischen S 8-Bildern aus dem Familienleben, dazu Ausschnitte aus den großen Filmen von Horst Buchholz, bei denen einem nicht nur auffällt, wie androgyn Buchholz wirkte, sondern auch, wie viele Männer überhaupt androgyn wirken. Es gibt bewegende Interviewpassagen mit der Mutter Myriam, einer gebürtigen Französin; es gibt auch eine Umarmung zwischen Vater und Sohn, bei der man das Gefühl hat, dass ihm derlei etwas schwer fällt.

Am besten gefiel mir eine der wenigen außen gedrehten Passagen, in der man Buchholz am Ku’damm spazieren gehen sieht, und er sagt, er sei eigentlich schon zu alt, um noch Hotte genannt zu werden. Völlig klar und traurig sieht Buchholz’ leere Dachgeschosswohnung am Ende aus. DETLEF KUHLBRODT