Erneut das Volk abgewählt

Die CDU kippt zum zweiten Mal Volksentscheid: Kleiner Parteitag beschließt durchgreifende Reform des Wahlrechts. Basis ohne Chance zur Diskussion. Stellvertretender CDU-Ortschef beklagt „eklatante Missachtung des Volkswillens“

von Marco Carini

Sie werden zu Wiederholungstätern. Am Montagabend kippte Hamburgs CDU zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres einen Volksentscheid. Nachdem der CDU-Senat bereits gegen den erklärten Volkswillen den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) privatisiert hat, kippte der Landesausschuss der Partei jetzt fast einstimmig das neue Wahlrecht, das die Initiative „Mehr Demokratie“ im Juni 2004 per Volksentscheid durchgesetzt hatte.

Für CDU-Fraktionschef Bernd Reinert sind die vom Kleinen Parteitag beschlossenen Änderungen nur „notwendige Korrekturen“ am Wahlrecht. Die „Philosophie“ des Volksentscheides werde „akzeptiert“, an seinen „Grundprinzipien festgehalten“. So würde auch nach der CDU-Novelle jeder Wähler je fünf Stimmen für die Wahlkreise und die Landesliste behalten, die er auf einen Kandidaten vereinen (kumulieren) oder zwischen verschiedenen Bewerbern auch unterschiedlicher Parteien verteilen (panaschieren) kann.

Auch die geplante Aufteilung der Hansestadt in 17 Wahlkreise bleibe erhalten. Dagegen müsse die von den Parteien aufgestellte Landesliste und die Reihenfolge ihrer Bürgerschaftskandidaten stärkeres Gewicht bekommen, die vom Volksentscheid abgesegnete Koppelung der Bezirks- an die Europawahlen rückgängig gemacht und die Abschaffung der 5-Prozent-Hürde bei der Wahl der sieben Kommunalparlamente geknickt werden. Zudem dürfe es bei Bezirkswahlen keine Wahlkreise geben.

Reinerts Argumente: Bestimmen die WählerInnen allzu stark die Auswahl des Bürgerschaftspersonals, würden sich „Promis, Medienfüchse und Wahlkreishelden“ durchsetzen, während junge Abgeordnete und Mandatsträger, deren Tätigkeit weniger öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehe, das Nachsehen hätten. Die Anbindung der Bezirks- an die Europawahlen „sei nicht möglich, weil dann die laufende bezirkliche Wahlperiode um sechzehn Monate verlängert werden müsse“ und bei einer Auflösung des Europarlaments auch die Bezirke neu gewählt werden müssten. Zudem könnten Bezirksabgeordnete nicht noch Wahlkreise betreuen. Und ein Verzicht auf die 5-Prozent-Sperrklausel führe zu „einer Zersplitterung“ der kommunalen Parlamente.

Doch die geplante Novelle löst auch innerhalb der CDU Kritik aus. Der stellvertretende Blankeneser CDU-Ortschef Dirk Ahlers bezeichnete die geplante Reform der Reform als „eklatante Missachtung des Volkswillens“. Die Behauptung, „dass dieser Vorschlag das vom Volk beschlossene Wahlrecht im Kern erhalte“, sei „schlicht irreführend“. Der CDU-Spitze gehe es nur darum, dass der Wähler sich in die Kandidatenauswahl nicht einmische.

Zudem sei der Vorstoß „mit höchster Geheimhaltung“ vorbereitet worden, klagt Ahlers. Die Kreis- und Ortsverbände hätten „den Antrag erst vor 24 Stunden auf den Tisch bekommen“ und folglich keine Chance gehabt, darüber zu diskutieren. Auch die Initiative „Mehr Demokratie“, die den CDU-Delegierten eine Stellungnahme in die Hand drückte, spricht von einer „groben Täuschung“ der Öffentlichkeit durch die Hamburger Regierungspartei. Es gehe in Wahrheit nicht um „kleine Änderungen“ am Volksentscheid: „Mit dem Antrag wird das beschlossene Wahlrecht ausgehebelt.“

Die CDU-Delegierten scherten sich allerdings nicht um diese Proteste. Reform-Kritiker Ahlers wurde von CDU-Parteichef Dirk Fischer nur mit Häme bedacht und als „Nörgler“ abklassifiziert, sein Vertagungs-Antrag abgeschmettert und die Wahlrechts-Reform bei nur wenigen Gegenstimmen beschlossen.

„Wir haben jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem“, befand anschließend sogar der ehemalige CDU-Fraktionschef und Reform-Befürworter Rolf Kruse. Die CDU wird damit wohl leben müssen.