Wenn ein Gutachter Klartext redet …

Bremen liegt mit seinen eigenen Sparanstrengungen „weit“ unter dem, was notwendig ist, sagt Bremens eigener Gutachter. Wenn das so fortgeschrieben wird, habe das Land kaum eine Chance vor dem Bundesverfassungsgericht

„Wie Bremen aus dieser Sache herauskommen kann und will, ist für mich gegenwärtig nicht erkennbar.“Die komplizierten Berechnungen führen zu einem schlichten Ergebnis

Bremen taz ■ Dutzende von renommierten Namen stehen unter den Gutachten, mit denen sich das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsministerium wappnet für die Prozesse in Karlsruhe, mit denen Haushaltsnotlage-Länder Finanzhilfen einklagen wollen. Berlin klagt bereits, Bremen und Saarland stehen auf der Matte, andere werden folgen. Das Land Bremen hat für die Gegenargumente einzelne Gutachter gewonnen, unter ihnen der Dresdener Professor für „empirische Finanzwissenschaft und Finanzpolitik“, Helmut Seitz. Der soll erklären, dass Bremen eine „nachhaltige Finanzpolitik“ schaffen könnte, wenn das Land weitere Bundeshilfe bekommt. Seitz hat jetzt seinen Entwurf vorgelegt. Streng vertraulich – der Entwurf enthält interne Anmerkungen, die in dem endgültigen Gutachten-Text nicht mehr stehen sollen.

Man darf gespannt sein, was aus diesen „internen“ Hinweisen im endgültigen Gutachtertext wird. Denn Bremens Gutachter ist der Ansicht, „dass die von Bremen im Zeitraum von 1994 bis 2004 erbrachten Eigenanstrengungen zur Bewältigung seiner Haushaltsnotlage weit unter dem lag, was eigentlich erforderlich gewesen wäre“. Punkt.

Darüber herrscht Einigkeit in der Finanzwissenschaft und das, so Seitz, würde in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht dem Land Bremen auch vorgehalten werden. Interner Klartext: „Wie Bremen aus dieser Sache herauskommen kann und will, ist für mich gegenwärtig nicht erkennbar.“ Sein einziger Rat liegt darin, dass Bremen nicht mehr darauf bestehen soll, eine richtige und kluge Sanierungspolitik gemacht zu haben. Bremen sollte „offensiv und offen sein und von einer für die Bremer Haushaltswirtschaft nicht erfolgreichen Politik sprechen“. Wenn Bremen das nicht selber macht, „werden es andere tun“, sagt der Gutachter. Das wäre unklug. Interner Tipp, nicht zur Veröffentlichung geeignet: „Es ist besser, wir stellen uns dieser Diskussion selbstkritisch im Vorfeld, als dass diese Diskussion dem Land in einem Verfahren aufgenötigt wird.“

Diese Erkenntnis hat gravierende Folgen: Glaubwürdig ist das Eingeständnis mangelhafter eigener Sparanstrengungen nur, wenn das Land Bremen nicht „weiter so“ wie bisher macht. Unglaubwürdig wäre ein solches Eingeständnis zum Beispiel, wenn im Haushalt für die Jahre 2006/2007 die eigenen Sparanstrengungen nicht drastisch steigen. Darauf verweist übrigens auch Bremens Finanzsenator.

Die komplizierten Berechnungen von Seitz führen zu einem schlichten Ergebnis: Über die zehn Jahre 1994 bis 2004 tätigte das Land Bremen 1,7 Milliarden Euro mehr Ausgaben, als wenn es dieselbe Ausgabenpolitik gemacht hätte wie der Durchschnitt der alten Bundesländer. Und das liegt an den enorm gestiegenen Investitionsausgaben – wobei sich unter diesem Etikett auch viele laufende Ausgaben verstecken.

Insgesamt ist das „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP), die Kennzahl der Volkswirtschaftler für Wirtschaftskraft, stärker als der Länderdurchschnitt gewachsen – aber nur ein wenig. Real um gerade 170 Millionen Euro, rechnet Seitz aus. In Bremen wird gern behauptet, das habe mit den überdurchschnittlichen Investitionsausgaben zu tun. Der Gutachter winkt ab: Eine „kausale Zurechnung“ dieses Mehrwachstums auf die massiven Bremer Investitionen „dürfte methodisch sehr schwierig sein“, schreibt er vornehm.

Was tun? Theoretisch müssten die laufenden Primärausgaben (ohne Zinslast) von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf circa 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2014 reduziert werden – jeder dritte Euro müsste gestrichen werden. Diese Zahl zeigt, „dass es Bremen aus eigener Kraft nicht gelingen kann, eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben“, folgert der Gutachter. Um aber wenigstens einen weiteren Hilfeanspruch glaubwürdig begründen zu können, müsse Bremen sein Ausgabenniveau absenken – auf mindestens 125 Prozent des Länderdurchschnitts. Das ist für Stadtstaaten in Haushaltsnotlage eine anerkannte Quote. Bremen lag 2004 aber bei 145 Prozent, das bedeutet: 500 Millionen Euro müssten bei den Ausgaben gestrichen werden, um vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen zu können.

Intern verweist der Gutachter dabei auf ein zusätzliches Problem: Da sich Bremen „in Sachen zukünftiger investiver Ausgaben bereits erheblich gebunden hat“ – im Klartext: die Investitionsquote bis 2010 ist fest verplant oder schon ausgegeben – müssten die Einsparpotenziale vor allem bei den konsumtiven Ausgaben erbracht werden. Da hatte Bremen aber in den vergangenen Jahren schon erheblich reduziert, mehr als die anderen. Seitz will das Problem nicht vertiefen in seinem Gutachten, „das dürfte nicht im Interesse von Bremen liegen“.

Klaus Wolschner