Ausweisung unzulässig

Nicht gegendarstellungsfähig (XXII): Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Baden-Württemberg

Ein Regierungspräsidium wies den 1979 in Berlin geborenen Türken mit Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei direkt aus der Haft aus. Der Junge war wegen Handels mit Haschisch zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Die in Baden-Württemberg geschaffene Rechtslage sah kein Recht zum Widerspruch vor, das Regierungspräsidium sollte erste und letzte Instanz sein.

Die Behörde gab als Grund ihrer Rechtsbrecherei an, dass das Aufenthaltsrecht durch die verbüßte Haft erloschen sei. Tatsächlich hatte aber der Europäische Gerichtshof zuvor bereits mehrfach entschieden, dass das Aufenthaltsrecht auch bei längerer Strafhaft fortgilt. Die Behörde stützte sich ferner auf generalpräventive Gründe. Die Ausweisung sollte andere abschrecken. Die erkannte Jugendstrafe – der Verurteilte stand nach Erkenntnis des Strafgerichts reifemäßig einem Erwachsenen nicht gleich – stützte sich aber nicht auf generalpräventive Erwägungen, sondern sollte nur die individuelle Schuld sühnen und erzieherisch einwirken. Schon deshalb war die Begründung der Behörde offen rechtswidrig, denn sie führte zu einer durch das Jugendstrafrecht gerade verbotenen und zugleich doppelten Bestrafung.

Daneben untersagt aber auch das Gemeinschaftsrecht jede Ausweisung aus generalpräventiven Gesichtspunkten. Eine Ausweisung ist danach auch gegen einen erwachsenen Ausländer nur erlaubt, wenn von ihm konkrete Gefahren ausgehen. Schließlich durfte dem Ausgewiesenen ein Verwaltungsrechtsmittel gegen die Ausweisung – Recht zum Widerspruch und Prüfung durch eine zweite Verwaltungsinstanz – nicht abgeschnitten werden, und zwar ebenfalls aus europarechtlichen, aber auch aus deutschen verfassungsrechtlichen Gründen. Genau diese Rechtschutzverkürzung aber hatte der Landesgesetzgeber verordnet.

Die Ausweisung wurde vom Bundesverwaltungsgericht dieser Tage gestoppt. Innerhalb von einem Monat kassiert das Gericht damit zum zweiten Mal entsprechende Entscheidungen aus Baden-Württemberg. Bereits vor einem Jahr hatte es entschieden, dass die Abschiebepraxis und die zu Grunde liegende Rechtslage gemeinschaftswidrig sind, ohne dass die Behörden dies zum Anlass genommen hätten, ihre rechtswidrigen Entscheidungen selbst zu ändern.

Die Fälle zeigen: Legislative und Exekutive ist Gemeinschaftsrecht gelegentlich vollkommen egal, wenn dieses Rechte von Ausländern schützt. Selbst höchstrichterliche Entscheidungen führen nicht zur selbsttätigen Änderung rechtswidriger Bescheide. Und selbst rechtsverletzende Ausweisungen bleiben für die Mitarbeiter von Ausländerbehörden in einer Weise folgenlos, die geradezu zur Fortsetzung einlädt. Vielleicht sollte man daher über einen Straftatbestand des „Amtsmissbrauchs“ nachdenken, um solche Verantwortlichen kriminalrechtlich entsprechend zur Verantwortung zu ziehen?

Unser Autor ist Rechtsanwalt in Berlin