Auf Zwischenstation im Jemen

Jedes Jahr kommen zehntausende Flüchtlinge, vor allem aus Somalia, über den Seeweg in das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel. Sie werden zwar aufgenommen, haben dort aber keine Perspektive. Die meisten wollen nach Europa

AUS SANAA KLAUS HEYMACH
UND SUSANNE SPORRER

„Nimm mein Kind mit nach Europa!“, sagt Anisa. Die schlanke Frau mit dem roten Kopftuch meint es ernst. „Dann ist zumindest meine Tochter schon mal dort.“ Dort, wohin es die 22-jährige Somalierin bis jetzt nicht geschafft hat. An dem Ziel, für das sie vor vier Jahren ihr Leben riskiert hat. Mit vierzig anderen quetschte sie sich damals in das winzige Boot der Schlepper, das sie weg vom Krieg in ihrer Heimat über den Golf von Aden in den Jemen brachte. Drei Tage musste sie durchhalten.

Der Jemen ist jedes Jahr für zehntausende Flüchtlinge, vor allem aus Somalia, der Ausweg aus Gewalt und Elend in Afrika. Und das, obwohl das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel selbst zu den ärmsten der Welt gehört. „Der Jemen ist für uns am einfachsten zu erreichen“, erklärt der Somalier Hassan Jama Mohamed, dem vor zwei Wochen die Flucht glückte. Einfacher als das ferne Marokko.

Die Überfahrt ist gefährlich. Jedes Jahr ertrinken hunderte, oft, weil die Schleuser sie einfach ins Wasser werfen. Doch die jemenitische Küste ist über 2.000 Kilometer lang und kaum bewacht. Sobald die Flüchtlinge das Festland erreicht haben, dürfen sie sich sicher fühlen: Der Jemen erkennt als einziges Land auf der Halbinsel alle Somalier als Flüchtlinge an, ohne den einzelnen Fall zu prüfen. Als „humanitär“ und „sehr großzügig“ lobt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR diese Politik. Knapp 80.000 somalische Flüchtlinge sind im Jemen registriert, dazu kommen ein paar tausend Äthiopier und Eritreer. Die Dunkelziffern dürften aber um ein Vielfaches höher liegen.

Viel kann der Jemen den Somaliern nicht bieten. Obwohl sie ebenfalls Muslime sind, schauen die Jemeniten auf die Schwarzen herab und nennen sie „Diener“. Arbeit gibt es höchstens als Straßenfeger oder Putzfrau. Vielen fällt es schwer, sich an die strenge Geschlechtertrennung in der konservativen Gesellschaft zu gewöhnen. Deshalb sehen fast alle Somalier den Jemen lediglich als eine Zwischenstation auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft – am liebsten in Europa.

Hassan hat ein Jahr lang gespart, bis er die hundert Dollar für die Fahrt übers Meer zusammen hatte. Ende September war es so weit, der Seegang ist schwächer geworden, jetzt hat die Hauptsaison für die gewagten Überfahrten begonnen. Seine Frau und die fünf Kinder ließ der 35-Jährige in Somalia zurück. Die letzten drei Kilometer bis zum Strand musste Hassan schwimmen. Aber am Ziel ist er damit noch lange nicht. „Ich will so schnell wie möglich nach Europa“, sagt er. Noch hofft er wie viele seiner Landsleute, das UNHCR würde ihn nach Großbritannien bringen. „Wir sind doch kein Reisebüro“, weist der Sprecher des Flüchtlingshilfswerks in Sanaa, Abdul Malik Abboud, solche Erwartungen zurück. Nur ein paar Dutzend Flüchtlinge vermittelt die UN-Organisation jedes Jahr nach Europa oder in die USA.

Den anderen bleibt nur, ihr Schicksal erneut in die Hände von Schleppern zu legen. Auch Hassan wird jetzt wieder 35 Dollar zusammensparen müssen, bevor ihn ein Beduine im Leeren Viertel, der Wüste im Grenzgebiet zu Saudi-Arabien, absetzen wird. Schätzungen zufolge versuchen täglich hunderte Afrikaner auf diesem Weg Europa ein Stückchen näher zu kommen. Doch die wenigsten kommen durch. Statt mit hohen Wellen und Haien haben sie auf diesem zweiten Abschnitt der Flucht mit giftigen Schlangen und unbarmherzigen Grenzsoldaten zu kämpfen. Wer es dennoch schafft, den erwartet ein Leben in der Illegalität. Denn das wohlhabende Königreich nimmt im Gegensatz zum Jemen keine Afrikaner auf. Wer erwischt wird, dem droht die Abschiebung in seine Heimat, zurück an den Ausgangspunkt der langen Flucht.

So wie Rodhas Mann. Vor zwei Monaten machte er sich nach sieben Jahren im Jemen allein auf den Weg nach Saudi-Arabien. Eigentlich wollte er die 30-Jährige später nachholen oder zumindest Geld für sie und ihr Baby schicken. Doch dann schnappte ihn die saudische Polizei und setzte ihn in ein Flugzeug zurück nach Somalia. Sobald er wieder hundert Dollar für die Schlepper hat, wird er sich erneut in eines der kleinen Fischerboote zwängen und sein Glück noch einmal im Jemen versuchen.