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: „Jesus, du weißt“ von Ulrich Seidl / Gebete in die Kamera

Wenn das Gebet mehr als nur leeres Ritual ist, dann reden die wirklich Gläubigen zu ihrem Gott über die persönlichsten Dinge. Jesus weiß ja, wie schwach, sündig und unglücklich sein Schäfchen ist - wen belügt man also im Gebet, wenn nicht sich selber. Vor jedem weltlichen Gericht, beim Therapeuten, bei Gesprächen mit Freunden und erst recht in der Beichte redet man sich doch immer doch ein wenig schön, aber beim Zwiegespräch mit Gott bemüht man sich um Wahrhaftigkeit. Wenn man da zuhören könnte, was könnte man da nicht alles von seinen Mitmenschen erfahren? Dieser voyeuristische Impuls, diese Neugierde, gibt dem Film „Jesus, du weißt“ von Ulrich Seidl seine ganz eigene Faszination. Wir wissen, dass wir da eigentlich nicht zuhören dürfen, wenn sechs Menschen in der Kirche vor dem Altar im Gebet ihre Herzen ausschütten.

Der Film besteht fast nur solchen Gesprächen mit Jesus Christus. Immer in riesigen, leeren Kirchen, gefilmt mit unbewegter Kamera in der Halbtotalen aus der Perspektive des Altars und mit dem Betenden im Vordergrund. Damit der Film nicht zu sehr wie ein formalistisches Experiment aussieht, gibt es auch ein paar Einstellungen, die die Protagonisten in ihrer alltäglichen Umgebung zeigen, und zwischen die einzelnen Gebeten sind kure Sequenzen montiert von Chören, die vor den Altären singen oder Geistlichen, die dort zusammen mit ihrer Gemeinde den Rosenkranz beten. Aber davon abgesehen sieht man nur einen Mensch alleine im Gespräch mit seinem Gott. Eine Frau beklagt sich darüber, dass ihre Familie zu viele Talkshows im Fernsehen sieht und dass ihr moslemischer Mann ihren strengen Glauben nicht respektiert. Ein junger Mann fühlt sich schuldig, weil er gerne so stark und cool wäre wie die Helden in seinen Karl May-Romanen, und weil er die Bibel nach erotischen Stellen durchforstet: „Mein Fleisch verlangt danach“. Ein junges Paar kann nicht miteinander reden, beide analysieren dies aber umso beredter im Gebet. Der Ton ist alles andere als frömmelnd: „Was hast Du Dir gedacht? Warum hat mein Vater mich geschlagen? Warum hat meine Mutter mir immer wieder ins Gesicht gespuckt?“ klagt ein einsamer alter Mann. Und eine Frau fragt Jesus, ob sie ihren Mann, der sie mit einer anderen Frau betrügt, umbringen soll: „Ich hab Gift, ich hab Zugang!“ sagt sie mit einem typisch österreichischen Tonfall. Später spricht sie dann von ihrer Furcht vor einem leidvollen Ende und bittet ihren „Gott im Himmel“ um einen „schönen Tod“. Ihre Geschichte ist am deutlichsten wie ein kleines Drama angelegt, und wirkt so romanhaft, dass leise Zweifel daran aufkommen, ob der Film tatsächlich eine reine Dokumentation ist, oder zum Teil doch aus geschickt inszenierter Fiktion besteht. Im Kino 46 läuft ?Jesus, du weißt`` nicht umsonst in der Reihe „Docufakes“, aber er hat auch bei einen tschechischen Filmfestival als „bester Dokumentarfilm“ einen Preis bekommen. .

Bei den Filmen des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidl wird man immer in die Rolle des mit einen schuldigen Schauern zusehenden Voyeurs gedrängt. Und oft segelt er dabei hart an der Ekelgrenze entlang. In seinem ersten Erfolgsfilm „Tierische Liebe“ zeigte er etwa, wieweit die durchaus auch körperliche Liebe des Menschen zu seinem Haustier gehen kann. In „Jesus du weißt“ arbeitete er dagegen sehr reduziert, und es bleibt dem Zuschauer überlassen, wie ernst er die religiösen Gefühle der sechs Betenden nimmt. Und so wird in der Anfangssequenz auch für das Wohl und Gelingen des Films „Jesus, du weißt“ gebetet.

Wilfried Hippen