Nichtdeutsche eher Opfer von Polizeiwillkür

Menschenrechtsorganisationen legen im Innenausschuss eine Dokumentation über Polizeiübergriffe vor. Vor allem im interkulturellen Bereich häufen sich die Straftaten der Staatsdiener. Experten fordern eine unabhängige Prüfinstanz

Mitten in der Nacht stürmt ein Spezialeinsatzkommando der Polizei in Lankwitz die Wohnung einer türkischen Migrantenfamilie. Der 17-jährige P. und seine Eltern werden von dem ohrenbetäubenden Lärm aus dem Schlaf gerissen. „Bevor P. sich orientieren kann, dringen bewaffnete und maskierte Männer in sein Zimmer ein und beginnen in der Dunkelheit, mit Fäusten auf ihn einzuschlagen“, heißt es einem Bericht der Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP). Der Grund für den Einsatz: P. sei der Teilnahme an einem Raubüberfall in einem Supermarkt verdächtigt worden – leider fälschlicherweise, wie sich später bei einer Gegenüberstellung mit der Kassiererin herausstellte.

Der Vorfall ist einer von 43 Fällen in Berlin, die die Organisationen amnesty international, AktionCourage und KOP in ihren Berichten über Polizeiübergriffe in Deutschland dokumentiert haben. Bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses ging es gestern um die Frage, welche Konsequenzen aus den Berichten gezogen werden können. Mit Blick darauf, dass viele Verfahren gegen Polizisten eingestellt werden und die Anzeigenden mit einer Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt rechnen müssen, lautete die zentrale Forderung der Experten: Eine unabhängige Instanz müsse geschaffen werden, um die Fälle selbstständig zu untersuchen.

Aber auch in Bezug auf interkulturelle Öffnung muss die Berliner Polizei nach Ansicht der Experten noch viel mehr tun. Die dokumentierten Fallbeispiele ergeben, dass Nichtdeutsche eher Gefahr laufen, Opfer von Polizeiwillkür zu werden, als gebürtige Deutsche. Auch für die Grünen und die PDS ist das ein Erfahrungswert, über den man nicht mehr diskutieren müsse. Es müssten andere Strukturen geschaffen werden, mit denen gewissen rassistischen Reflexen von Polizeibeamten im Alltag begegnet werden könne, forderte Özcan Mutlu von den Grünen.

Mutlu weiß, wovon er spricht. Erst unlängst ist der dunkelhaarige Mann vor dem Abgeordnetenhaus an einer Polizeisperre aufgehalten worden, während andere, „nordisch“ aussehende Menschen ohne Probleme passieren konnten.

Johanna Mohrfeldt vom KOP plädierte dafür, die so genannten gefährlichen Orte abzuschaffen. An jenen darf die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen. Laut Mohrfeldt handelt es sich dabei um ein rassistisches Instrumentarium, weil in der Regel dunkelhäutige oder anders aussehende Menschen von solchen Kontrollen betroffen seien. Der Vertreter von AktionCourage, Otto Diederichs, verwahrte sich gegen die Sichtweise von Körting, rassistisches Denken gebe es in der Polizei nur bei einzelnen schwarzen Schafen. Nach Schätzungen eines Fachbereichsleiters für Politik an der Polizeischule gebe es bei der Polizei „einen Bodensatz von 3 bis 5 Prozent“, der sich einem offenen Umgang mit Ausländern verschließe. Diederichs’ Forderung: „Raus mit solchen Leuten!“

Aber Diederichs hatte auch Positives über die Berliner Polizei zu vermelden. Er verwies auf eine Dokumentation der Niederländischen Polizei Akademie, in der die Arbeit der Berliner Polizeischule ausdrücklich gelobt wird: Gemessen am Bundesdurchschnitt spiele sie eine engagierte Vorreiterrolle im interkulturellen Bereich.

Laut Polizeipräsident Dieter Glietsch ist die Zahl der Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt rückläufig. 2001 wurden noch über 1.000 Anzeigen erstattet, 2004 waren es noch 800. Was die 43 von den Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle angeht, sagte Glietsch, er habe in keinem Fall einen Hinweis darauf, dass ein rassistisches Motiv gegeben sei.

PLUTONIA PLARRE