Invasion in Filzpantoffeln

„Uwaga! Polen kommen“: Ein Festival in Leipzig und Weimar spielt mit den deutsch-polnischen Ängsten vor der wirtschaftlichen Konkurrenz

„Uwaga (Vorsicht)! Polen kommen“, warnt ein dreieckiges Schild am Lindenauer Markt. Es zeigt ein kleines Auto mit überbordendem Dachgepäck, das sich in rasender Geschwindigkeit zu nähern scheint. Hier, im verschlafenen Westen Leipzigs, kommt die Warnung etwas spät: Denn die Polen sind längst da, mit Arbeitskraft und Kulturgütern an Bord. Die Leipziger nehmen’s gelassen, denn die „polnische Invasion“ erfolgt auf Einladung. Für eine Woche holt sich der freie Theaterverein Lofft e. V. die Kultur des Nachbarlandes mit zehn Produktionen der Theaterszene ins Haus. Parallel dazu simuliert eine Abordnung bildender Künstler einen kulturellen Überfall auf Weimar.

Veronika Beck, Produktionsleiterin am Lofft, verbindet eine lange Zusammenarbeit mit Polen. Sie machte die Erfahrung, dass einem echten Austausch noch immer viel im Wege steht. „Ostdeutschland und Polen sind sich eigentlich sehr nah, aber der gegenseitige Umgang ist geprägt von Vorurteilen und Desinteresse“, sagt sie. Hierzulande ist polnische Kultur weitgehend unbekannt und wird höchstens in der Hauptstadt im Rahmen europäischer Pflichtübungen rezipiert. Mit ihrer Begeisterung für Polen traf Veronika Beck 2004 auf dem Theaterfestival in Poznán auf Gleichgesinnte: Programmverantwortliche des Kunstvereins e-werk weimar suchten dort nach Künstlern für ein polnisches Festival. Man plante zusammen mit kleinem Budget. Dass sich mit dem kurzfristig angesetzten „Deutsch-Polnischen Jahr 2005/2006“ ein passender Fördertopf fand, gab dem Festival zusätzlichen Spielraum.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen die Ängste vor einer Billigarbeiterflut auf deutscher und einem Totalausverkauf der Heimat auf polnischer Seite. Die Künstlergruppe Oberalnia Jarzyn (Gemüseschäler) schmuggelt in einer Aktion polnische Waren in die Geschäfte am Lindenauer Markt. Im Haushaltsgeschäft stehen zwischen den Kurzwaren jetzt bestickte Filzpantoffeln und Holzleim der Marke comfort. Die Auslagen des Sportladens zieren Polska- Basecaps, in der Buchhandlung sind zwischen die Messeneuheiten Bücher von Andrej Stasiuk gestreut. An den Lindenauer Markttagen wird ein Polenmarkt, das viel beschworene Gespenst von Billigkonkurrenz aus dem Osten, den alteingesessenen vietnamesischen Nippeshändlern Konkurrenz machen.

Auch das Performance-Trio Pif Paf aus Kraków spielt mit der Schimäre der Invasion. Mit einem Requisitenkoffer und einem Diaprojektor rücken die Künstler in Leipziger Privatwohnzimmer vor und spielen zum Dumpingpreis von 11,11 Euro ihr Theaterstück „Schön, wie Sie wohnen“. Den Leipzigern sind die indiskreten Polen willkommen, alle Aufführungstermine sind ausgebucht.

Das Programm im Lofft wird es schwerer haben mit der Akzeptanz: Das Haus in der westlichen Peripherie zieht einen Kreis eingeschworener Tanz- und Performance-Freunde an, die so ihre Probleme mit Theater aus dem Nachbarland haben. „Polnisches Theater ist in den meisten Köpfen eine weihevolle Angelegenheit: strenge Inszenierungen mit schwarz gekleideten Schauspielern oder Mythisch-Religiöses“, schmunzelt Veronika Beck. 70er-Jahre-Ansätze wie das „Theater der Liebe und des Todes“ von Tadeusz Kantor prägen noch heute das Bild, das deutsche Kulturinteressierte vom polnischen Theater haben. Veronika Beck will dieses Bild geraderücken und lud deshalb junge Künstler ein, um die Bandbreite der zeitgenössischen Theaterlandschaft zwischen Tanztheater, Happening, Performance und Installation zu zeigen.

Zum Auftakt stellten Towarzystwo Gimnastyczne ihr neues Stück „Obcojezycznosc“ (Mehrsprachigkeit) vor. Zu eingeblendeten Botschaften wie „Your mind is not your own“ erschaffen die Tänzerinnen beklemmende Tableaus der Entfremdung und Besetzung des Körpers. Die vermeintlich bedeutungsschweren Textbotschaften entpuppen sich am Ende als Zeilen des 80ies-Diskofegers „Addicted to Love“. Zeitgenössischer Tanz kann durchaus mit Witz für Sinn zwischen Körper und Sprache sorgen, so die Botschaft der vier, die sich auf Deutsch „Gymnastikgruppe“ nennen. Ihr selbstironisches Understatement kommt gut an beim Leipziger Premierenpublikum. Polen ist doch näher, als die meisten dachten. Nächstes Jahr ist eine Gegeninvasion deutscher Künstler beim Krakauer Partnerverein biogrupa geplant. Auch dort werden wohl einige Kulturklischees fallen müssen. NINA APIN

„Uwaga! Polen kommen“: In Leipzig vom 24. bis 30. 10., in Weimar vom 27. 10. bis 7. 11. 2005. Infos unter: www.uwaga-polen-kommen.de