Die Vielfalt und die Einfalt

Im eigenen Land die Fehler suchen: eine Diskussion über die Unesco-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt

Internationale Abmachungen zur Förderung kultureller Vielfalt nutzen wenig, so lange innerhalb der eigenen Grenzen die Bedingungen dafür gefährdet sind: so das Ergebnis einer Diskussion in der Berliner Akademie der Künste, die den Konflikt von „Kultur versus Freihandel“ behandeln sollte, sich bald aber mit näher liegenden Problemen befasste.

Vergangene Woche hat die Generalversammlung der Unesco in Paris eine Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt verabschiedet. Sie soll verhindern helfen, dass Kulturgüter und -ereignisse rechtlich den Bedingungen des Welthandels angepasst und Subventionen als Wettbewerbsverzerrer verboten werden. Obwohl die internationale Zustimmung weitaus höher ausfiel als allgemein erwartet – 148 Staaten befürworteten den Resolutionstext –, sind es die beiden Gegenstimmen, die für Aufregung sorgen. Denn neben Israel haben ausgerechnet die Vereinigten Staaten sich geweigert, die Konvention anzuerkennen. Was hilft eine Abmachung zum Schutz der jeweiligen kulturellen Güter eines Landes, wenn die weltweit dominante Kulturnation sie ablehnt?

Was die Unesco-Konvention unter diesen Umständen bewirken kann, diskutierten Filmemacher und Kulturpolitiker auf Einladung des Goethe-Instituts. Ein bisschen fiel man in das Vakuum der Zwischenzeit: Die Resolution ist zwar auf dem Papier angenommen, in der marktliberalen Wirklichkeit bewähren musste sie sich noch nicht. Doch bereits jetzt wird scharf geschossen. Wie Moderator Hansjürgen Rosenbauer zu berichten wusste, geißelt die amerikanische Filmlobby MPAA die Abmachungen bereits als einen möglichen Verstoß gegen Menschenrechte und den freien Fluss von Informationen. Ihre Befürchtung: Mit der Konvention könnten Länder nun nach Gutdünken Importbeschränkungen für amerikanische Filme einführen. Solchen Kritikern hielt der deutsche Unesco-Botschafter Hans-Heinrich Wrede entgegen, dass sie den Text der Konvention nicht gelesen hätten. „Kein Hollywoodfilm wird von dieser Konvention daran gehindert, in den Kinos zu laufen.“ Statt eines Konflikts zwischen der Konvention und Freihandelsverträgen wie dem Dienstleistungsabkommen Gats betonte Wrede die Komplementarität zwischen Handels- und kulturellen Aspekten, die im Regelwerk als Kompromiss gewahrt werde.

In der Tat einigte man sich auf dem Podium rasch, dass die eigentlichen Hindernisse zur Förderung kultureller Vielfalt nicht außerhalb, sondern in Deutschland selbst zu finden seien. Der Filmproduzent Florian Koerner von Gustorf hielt als grundlegendes Dilemma fest: „Wir haben keine Filmindustrie, sondern eine subventionierte Scheinindustrie.“ Lediglich 10 Prozent der deutschen Filme würden ihre Herstellungskosten wieder einspielen. Ohne Förderung läuft also nichts. Dass dies dennoch ökonomisch sinnvoll sei, ist eine Frage der Perspektive: denn als Investition in Arbeitsplätze könne Filmförderung durchaus als wirtschaftlich begriffen werden. Als Produkt hingegen, bei dem die Herstellungs- mit den Ertragskosten verglichen werden, sei Film hierzulande jedoch nicht rentabel.

Der Regisseur Dani Levy vermisste in der Diskussion einen Blick für die Konsumrealität. Er sieht eine „Bequemlichkeitsteufelsspirale“ am Werk, in der Produzenten wie Publikum gleichermaßen verfangen sind. Was nützt die bestgemeinte Förderung, wenn das Publikum kein Interesse hat, unbekannte und ungewöhnliche Filme zu entdecken? Oder zumindest Redaktionen das vermuten? Selbst seinen Überraschungserfolg „Alles auf Zucker“ wollte zuerst niemand produzieren. „Wir machen keine Minderheitenprogramme“, hatte ein Sender ihm schriftlich versichert, der sich darüber sicher heute noch krank ärgert.

DIETMAR KAMMERER