Mit 64 Jahren fängt bei Grünen das Leben an

Franziska Eichstädt-Bohlig hat gute Chancen, als Grünen-Spitzenkandidatin in den Abgeordnetenhaus-Wahlkampf 2006 zu ziehen. Die langjährige Bundestagsabgeordnete ist erfahren und populär – und die Grünen sind alternativlos

CDU und Grüne in Berlin haben mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein kann. Beide sind auf der Suche nach einer populären Galionsfigur für den Abgeordnetenhaus-Wahlkampf im kommenden Jahr. Beide Parteien stoßen dabei auf externe KandidatInnen – die Union auf den Leiter des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, die Grünen auf die langjährige Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig. Und in beiden Fällen sind die Angebeteten in ihren Sechzigern. Nur hat sich bei den Grünen die Kandidatin in spe ohne langes Zögern bereit erklärt, den Job zu machen. Die Signale stehen günstig, dass die heute 64-Jährige ihn auch bekommt.

Gegenüber der Öffentlichkeit halten sich Fraktionsmitglieder und Eichstädt-Bohlig zwar bedeckt. Mehr als ein kokettes „Ich kann mir das schon vorstellen“ kommt der möglichen Spitzenkandidatin nicht über die Lippen. Doch im selben Atemzug geißelt sie das „Standard-Karriere-Denken“. Ein Wechsel von der Bundes- auf die Landesebene sei keinesfalls ein Abstieg. Nach elf Jahren im Bundestag trat die Haushalts-Expertin nicht mehr bei der Wahl im September an. Und überhaupt: „Die Landespolitik hat mehr mit dem Leben der Menschen zu tun.“

Eichstädt-Bohlig ist die Erste, die sich offen um Listenplatz 1 bewirbt. Das Rennen um ihn hat in der vergangenen Woche begonnen. Sibyll Klotz, die langjährige Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, hatte angekündigt, im kommenden Jahr nicht wieder für den Spitzenplatz bei der Abgeordnetenhaus-Wahl zu kandidieren. Auch, ob sie sich im Februar wieder für den Fraktionsvorsitz bewerben will, lässt die 44-Jährige offen. Klotz hat im September den Einzug in den Bundestag über die Landesliste im September knapp verpasst. Männlicher Spitzenkandidat wird erneut der 45-jährige Volker Ratzmann. Gemeinsam mit Klotz ist er Fraktionschef im Abgeordnetenhaus.

Für die gelernte Architektin und Stadtplanerin Eichstädt-Bohlig findet Klotz ausschließlich lobende Worte. Einst pochten die Grünen auf Rotation im Amt. Nun gilt eine langjährige Parlamentarierin als neue Hoffnung. Das ist für Klotz kein Widerspruch: „Junge Leute müssen natürlich auch in der Fraktion vertreten sein“, sagt sie. „Wir werden auch im Wahlkampf auf eine Teamlösung setzen.“

Doch für Eichstädt-Bohlig sprechen nicht nur ihre Erfahrung und ihre Berliner Wurzeln. Es fehlt der Partei schlicht an einer populären Alternative. Als einzige ernst zu nehmende interne Bewerberin gilt Alice Ströver. Doch die Kulturexpertin der Grünen-Fraktion kennen im Vergleich zu ihrer möglichen Konkurrentin nur wenige. Auch bezweifeln manche in der Partei die Teamfähigkeit der 50-Jährigen. Anfang April 2006 werden die Grünen über ihre Kandidaten abstimmen. Vielleicht ist die Union bis dahin auch so weit.MATTHIAS LOHRE