Flattriger Flirt fini

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Und er bleibt doch in München. CSU-Chef Edmund Stoiber hat anscheinend die Nase voll von den Koalitions-Sperenzchen an der Spree, gestern hat er den möglichen Ministerposten hingeschmissen. Ersatzmann im Wirtschaftsministerium ist wohl CSU-Landesgruppenchef Michael Glos.

Anlass für die neuerliche Kehrtwende von Stoiber ist offiziell der Rückzug von SPD-Chef Franz Müntefering. Der war am Montag mit seinem Wunschkandidaten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär gescheitert, mit deutlichem Vorsprung hatte die Münte-Gegnerin Andrea Nahles gewonnen.

Müntefering und Stoiber kennen und schätzen sich aus der Zusammenarbeit in der Föderalismuskommission: „Herr Müntefering ist als Parteivorsitzender natürlich eine Autorität und ein Eckpfeiler einer großen Koalition“, so Stoiber am Montag in Berlin. Und ließ durchblicken, dass sich die CSU über die Auswirkungen Gedanken machen müsse: „Das ist für mich und uns eine veränderte Lage.“

Wenige Stunden später wurde klar, dass die Auswirkungen mehr das Beben selbst sind. Von der „CSU-Spitze“ wurde gestern peu à peu bestätigt, was der Parteichef seit dem Beginn seiner Berlinreisen immer wieder angedroht hatte: Rückzug ins Stammland, wenn ihm nicht die Ehre zuteil wird, die einem bayerischen Ministerpräsidenten angemessen ist. Und weil sich Stoiber in den vergangenen Tagen sowieso „schlecht behandelt“ fühlte von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, kam ihm Münteferings Abgang gar nicht ungelegen. Jetzt muss er sich nicht mehr über Ressortzuschnitte streiten und kann außerdem daheim in Bayern Innenminister Günther Beckstein und Staatskanzleichef Erwin Huber befrieden, die sich um die Ministerpräsidenten-Nachfolge rangelten.

„Mit ein bisschen bösem Willen könnte man meinen, er hat nur auf diese Gelegenheit gewartet“, ließ sich am Dienstag ein CSU-Präsidiumsmitglied zitieren. Und direkt aus den Reihen seiner vier Stellvertreter an der Parteispitze wurde auch Kritik laut, dass Stoiber mit seinem Rückzug das „Theater in Berlin“ nur zusätzlich verschärfe. Doch das hatte bereits am Wahlabend begonnen: „Ich bin bereit, für Deutschland auch in Berlin Verantwortung zu übernehmen“, sagte er da. In den letzten Wochen wurde der Gang nach Berlin dann mit „Tendenzen“ untermauert, um wieder von „stimmigen Konstellationen“ abhängig zu sein, bis sich am 10. Oktober Union und SPD einigten, dass Stoiber Wirtschaftsminister werden solle. Doch bereits zehn Tage später verbot er seiner Partei eine Nachfolgediskussion. Schließlich sei doch gar nicht klar, ob er wirklich nach Berlin gehe.

Im Gespräch mit der taz zeigten mehrere Landtagsabgeordnete Verständnis für den Rückzug. „Es war ein unwürdiges Postengeschachere. So muss sich Stoiber nicht behandeln lassen. Er ist nicht irgendwer“, sagte etwa der Franke Kurt Eckstein.

Doch trotz persönlicher Anteilnahmen kehrt der seit 1993 regierende Noch- und Wieder-Ministerpräsident zurück in eine landespolitische Landschaft, die nicht mehr dieselbe ist wie vor Stoibers flattrigem Flirt mit Berlin. Nicht nur seine Parteikollegen auf Bundesebene sind genervt vom Hin und Her – „Dieses ewige Ungewisse geht mir auf den Senkel“, schimpfte etwa der Fraktionsvize Wolfgang Zöller. Auch in Bayern traut man sich jetzt deutlicher zu sprechen: „Ich bin der festen Überzeugung, dass Stoiber etwas ändern muss“, sagte Eckstein. Die Ministerien müssten künftig wieder selbstständiger arbeiten und die Fraktion mehr eingebunden werden in das politische Geschehen. „Ich hoffe auf weniger Dirigismus.“

Auch der oberbayerische Abgeordnete Marcel Huber will frischen Wind: „Man kann mit Sicherheit sagen, dass es nicht so weitergehen wird wie vorher.“ Die Menschen „draußen“ seien verärgert über „solche Spielchen“, auch die Reformpläne der beiden – ehemaligen – Bewerber Huber und Beckstein könne Stoiber nicht mit leichter Hand wegfegen: „Diese Gedanken wird sich auch Stoiber machen müssen“, so Huber.

Manfred Weber, bayerischer JU-Chef und im CSU-Präsidium, ist „erschüttert“ über die Lage in Berlin. „Wir Jungen hatten ein Aufbruchsignal erwartet, wenn die drei Spitzenleute der drei Parteien zusammensitzen.“ Den Rückzug Stoibers habe er nicht erwartet. Auch er stellt klar, dass Stoibers Alleingänge nicht mehr bedingungslos hingenommen werden: „Das Entscheidende ist, ob im Parteipräsidium Kritik laut wird.“