„Für Hannelore“

Sichtlich zufrieden mit sich und der Welt zündete Helmut Kohl gestern in Berlin die zweite Stufe seiner „Erinnerungen“. Auf 1.152 Seiten will der Altkanzler seinen Platz in der „Gechichte“ sichern

VON DAVID DENK

Dr. Helmut Kohl funktioniert ein bisschen so wie eine Jukebox, die auf Zuruf alte Hits für alte Männer spielt: Margaret Thatcher, François Mitterrand, Bernhard Friedmann – zu allem und jedem hat Kohl was zu sagen. Nur wenn es zu modern wird, gerät die Wurlitzer der deutschen Politik ins Stocken und verstummt. Edmund Stoiber, Angela Merkel – eine Unverschämtheit, ihn überhaupt mit diesen Namen zu behelligen. „Ich bin hierher gekommen, um über mein Buch zu reden und nicht über mein Verhältnis zu Frau Merkel.“

Ach ja, das Buch. Erscheint heute, Startauflage 100.000 Exemplare, 1.152 Seiten – und das ist nur der zweite von drei Teilen, „Erinnerungen 1982–1990“. Oder spricht man bei solchen Schwergewichten (Autor wie Werk) besser von Bänden? Die noch unvollendete Helmut-Kohl-Trilogie, gewidmet seiner verstorbenen Frau, schreit doch eigentlich nach einer Verfilmung. Doch ist dieses Unternehmen leider schon deswegen zum Scheitern verurteilt, weil Helmut Kohl garantiert niemandem zutrauen wird, die Hauptrolle auszufüllen – außer sich selbst.

Und so geriet die Pressekonferenz zur Buchveröffentlichung erwartungsgemäß zu einer Lehrstunde in Sachen Selbstbeschwipstheit, durchsetzt von Nachhilfeunterricht in Geschichte. Wie eine Kreuzung aus Buddhastatue und Sonnenkönig thronte Kohl auf dem Podium und ließ sich feiern. Um so milde lächeln zu können wie Kohl, brauchen normale Menschen eine Flasche Wein – mindestens. Sein Verleger Dr. Hans-Peter Übleis reihte in der devoten Einführungsrede Huldigungen aneinander: „wichtigstes Sachbuch der Saison“, „als Opus Magnum angekündigt“, „legendäre Rede“, „macht Geschichte verstehbar“.

Und Kohl selbst? Der dachte gar nicht daran, Demut zu zeigen und diese Superlative zu relativieren. Lieber legte er noch was drauf, sich selbst natürlich. „Ich habe kein Geschichtsbuch geschrieben“, sagte er, „sondern beschreibe Menschen, wie ich sie sehe.“ Kein selbstreflexiver Lichtblick steht dahinter, sondern Kohls offen geäußerter Wunsch, mit „Geschichtsfälschungen“ aufzuräumen und so seinen Platz in den Geschichtsbüchern zu zementieren.

Wenn es nach ihm geht – und nichts anderes ist für ihn vorstellbar –, werden Geschichtsstudenten in einigen Jahren, sagen wir mal 2050, Seminararbeiten über ihn schreiben und dabei seine Memoiren als historische Quellen zu Rate ziehen: „Das erfreut mich.“

Dabei wird der wissbegierige Student Sätze lesen wie diesen: „Wer die Zukunft gestalten will, muss Perspektiven vermitteln, die über das Bestehende hinausweisen.“ Soll diese Plattitüde etwa der „erfrischend direkte Ton“ sein, der Kohls Buch seinem Verleger zufolge auszeichnet?

Apropos Fragen: In Ehrfurcht erstarrt, stellten diejenigen, die es besser wissen müssten, in der Pressekonferenz ganz viele Doppelfragen, sodass Kohl sich aussuchen konnte, auf welchen Teil der Frage er antworten wollte. Wenn ihm keine Frage passte, beantwortete er sogar welche, die ihm gar nicht gestellt wurden. Als jemand, der sich vorher wie gewünscht brav vorstellte, wissen wollte, wie Kohl die steile Karriere Angela Merkels bewertet, begann der Koloss von Oggersheim über seine eigene zu sprechen: „An meiner Wiege stand nicht die Prophezeiung, dass ich Bundeskanzler werde.“

Scheinheilig entschuldigte er sich für diesen vermeintlichen Aussetzer: „Mit 75 nimmt alles ab.“ Sein Auftritt war der glatte Gegenbeweis. Und es geht weiter: „Der dritte Band muss kommen aus meiner Sicht.“