Türkei verstärkt Lobbyarbeit in Europa

Vor dem Hintergrund der französischen Unruhen eröffnen die Regierungschefs Erdogan und Schröder gemeinsam das Kölner Büro der „Union Europäisch Türkischer Demokraten“, das für Integration und EU-Mitgliedschaft werben soll

KÖLN taz ■ Es sollte ein angenehmer Termin werden, frei von tagespolitischen Unruhen. Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder und der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan waren geladen, der feierlichen Eröffnung der Europazentrale der „Union Europäisch Türkischer Demokraten“ (UETD) im migrationsgeprägten Kölner Stadtteil Porz beizuwohnen. Doch nach den Ausschreitungen in Frankreich wird in Deutschland über Migration erneut wie über eine Bedrohung diskutiert.

Zur aktuellen Debatte sagte der UETD-Vorsitzende Fevzi Cebe, man müsse „die bisherige Integrationspolitik hinterfragen“. Im Umgang mit dem Thema wünsche er sich „gerade von politischen Parteien, die sich christlich oder freiheitlich nennen“, mehr Sensibilität. „Uns fällt auf, dass diejenigen, die sich einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei widersetzen, wiederum diejenigen sind, die eine gesunde Integration der in Europa lebenden Türken ablehnen.“ Die Union Europäisch Türkischer Demokraten, ein 15 Monate junger Verein, verfolgt laut Satzung den Zweck, „im Sinne des Gedankens der internationalen Völkerverständigung auf kultureller Ebene, Toleranz zu fördern“.

Die Inauguration der UETD-Zentrale in Köln-Porz war aber nicht nur ein Anlass, über die Integration in deutschen Großstädten zu debattieren. Für Schröder bot sich drei Wochen nach seinem Besuch in der Türkei nochmals die Gelegenheit, von seinem Amtskollegen Erdogan Abschied zu nehmen. Wie in Istanbul, als die beiden Regierungschefs Mitte Oktober gemeinsam das traditionelle Fastenbrechen zelebrierten, waren sie auch gestern Abend zum ausgiebigen Schlemmen beim Gala-Dinner im Kölner Hyatt-Hotel verabredet.

Schröder, der ebenfalls zur Eröffnungszeremonie am Nachmittag geladen war, ließ den türkischen Gast bis zum Abend warten. Die Koalitionsgespräche in Berlin waren wichtiger. Erdogan wird dafür aber Verständnis gehabt haben. Schließlich geht es bei den Verhandlungen von Union und SPD auch die Themen Integration und EU-Mitgliedschaft. In der vergangenen Woche hatte die Arbeitsgruppe Außenpolitik von Union und SPD keine Einigung über die Frage eines Türkeibeitritts zur Europäischen Union erzielt. Das Thema sparten die Fachleute von SPD und CDU/CSU für die große Koalitionsrunde aus, die heute beginnen soll. Noch immer plädiert die Union gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei.

Genau diese Vollmitgliedschaft ist auch eines der zentralen Ziele der UETD, die gewissermaßen als Lobbyorganisation für eine aufgeklärte, europäisch orientierte Türkei sowohl in die Migrantenmilieus als auch in die EU-Regierungen hinein fungieren soll. In sechs EU-Ländern existieren bereits UETD-Regionalbüros. Eines davon in Brüssel. Und ein zweites in Paris.

SEBASTIAN SEDLMAYR