„Es geht mehr um Gefühle als um Fakten“

Die große Koalition will den Kündigungsschutz lockern. Mehr Jobs wird das nicht bringen. Und für die Arbeitnehmer verändert sich die Lage weniger real als psychologisch. Die gefühlte soziale Sicherheit nimmt ab, so Heide Pfarr

taz: Frau Pfarr, die große Koalition will den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer lockern. Lockerung klingt immer gut. Was bedeutet das?

Heide Pfarr: Kündigungsschutz bedeutet erst einmal nichts anderes als das Recht des Arbeitnehmers, gegen eine Kündigung mit guten Chancen vor das Arbeitsgericht zu ziehen. Einen vollautomatischen Schutz gibt es gar nicht. Wenn die Großkoalitionäre jetzt den Kündigungsschutz nicht mehr nach einem halben Jahr nach der Einstellung, sondern erst nach zwei Jahren einsetzen lassen wollen, werden sich die Betroffenen in dieser Zeit nur noch in ganz besonderen Ausnahmefällen wehren können.

In welchen Betrieben wird diese Neuregelung relevant werden?

Nach allen vorliegenden Daten wissen wir, dass die kleinen und mittleren Unternehmen von Befristungsmöglichkeiten weniger Gebrauch machen als die Großunternehmen – sagen wir der Auto- und Maschinenindustrie. Wir haben angesichts der Zahlen über die Dauer von Anstellungen ausgerechnet, dass 48 Prozent aller Entlassungen von der Neuregelung aktuell betroffen wären. Rund 30 Prozent aller Beschäftigten werden nie mehr in den Genuss des Kündigungsschutzes kommen. Sie werden immer in sozialer Unsicherheit leben.

Gerade jüngere Leute haben aber ohnehin nur noch Freunde mit befristeten Jobs. Für die macht die Neuregelung keinen Unterschied. Gibt es denn überhaupt noch unbefristete Arbeitsverhältnisse?

Sie täuschen sich. Befristungen ohne sachlichen Grund – etwa Projektgebundenheit – gibt es vor allem im niedrig qualifizierten und im ganz hoch qualifizierten Bereich: Medizin, Forschung, Medien. Insgesamt sind das etwa 13 Prozent aller Jobs. Die Befristung diente bislang häufig als Tarnung einer verlängerten Probezeit. So gesehen schafft die Neuregelung hier ein Stück Ehrlichkeit oder Transparenz. Die breite Mitte jedoch kannte bislang das unbefristete Arbeitsverhältnis mit halbjähriger Probezeit.

Das könnte man auch als Gerechtigkeit bezeichnen: Dann erfährt auch der Facharbeiter endlich, was es mit prekären Beschäftigungsverhältnissen auf sich hat …

Nun, die psychologische Komponente des Kündigungsschutzes ist gar nicht zu unterschätzen. Arbeitnehmer – obwohl sie in der Zeitung am laufenden Band von vier- und fünfstelligem Arbeitsplatzabbau lesen – glauben, dass ihnen der Kündigungsschutz den Arbeitsplatz sichert. Jetzt wird das Gefühl von Unsicherheit auf einen Zeitraum von zwei Jahren erhöht: Wer in Probezeit ist, treibt sich nicht in der Nähe des Betriebsratsbüros herum. Junge Leute, die erst Kinder kriegen wollen, wenn sie eine Festanstellung haben, werden damit eineinhalb weitere Jahre warten. Das dürfte den aufrechten Gang des Facharbeiters erheblich schwerer machen.

In Großbritannien gibt es ebenfalls die zweijährige Probezeit …

Stimmt. Aber hier hat zum Beispiel die damalige Premierministerin Maggie Thatcher einmal die Probezeit auf vier Jahre erhöht – und durfte feststellen, dass dies die Mobilität der Beschäftigten massiv einschränkte. Denn wer nach vier Jahren seinen Job sicher hatte, ließ ihn gewiss nicht mehr los. Da hat Thatcher wieder auf zwei Jahre zurückgedreht.

Immerhin aber versprechen die Arbeitgeberverbände bessere Stimmung und damit mehr Jobs bei gelockertem Kündigungsschutz.

Auch für Arbeitgeber gilt: Die gefühlte Rechtswirklichkeit hat mit der Realität nichts zu tun. Nach repräsentativen Befragungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, bei dem ich arbeite, fühlen sich die Arbeitgeber vom Kündigungsschutz mehr bedroht, als sie in Wirklichkeit damit umgehen. Das Einstellungs- und Entlassungsverhalten der Arbeitgeber, die sich über den Kündigungsschutz beklagen, unterscheidet sich nicht von dem, die sich nicht darüber beklagen. Beide Gruppen stellen halt Leute ein oder entlassen sie vor allem gemäß der wirtschaftlichen Lage.

Wenn der Kündigungsschutz hauptsächlich psychologisch wirkt und bislang auch je nach Wirtschaftslage gekündigt wird, bedeutet das, dass diese Neuregelung eigentlich nicht sehr bedeutend ist?

Oh, ich bin mir ganz sicher, dass sie beschäftigungspolitisch ohne jede Auswirkung bleiben wird. Wir werden halt unsicherere Arbeitnehmer bekommen, die noch später Familien gründen. Aber noch schlimmer wäre gewesen, wenn der Plan der Union durchgezogen worden wäre. Denn dann hätte der Kündigungsschutz überhaupt nur noch für Betriebe ab 20 Mitarbeitern aufwärts gegolten. Das wäre noch viel sinnloser und schmerzhafter gewesen. So gesehen ist diese Maßnahme der großen Koalition eine relativ kleine Kröte.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN