Kommen und Gehen

Ewald Lienen scheitert bei Hannover 96 an den überhöhten Erwartungen der Geschäftsführung. Derweil übernimmt Hans Meyer in Nürnberg den Job, den sonst keiner wollte

VON FRANK KETTERER

Der letzte Wunsch von Ewald Lienen blieb ein frommer, so ganz und gar in Erfüllung jedenfalls ging er nicht. Schon am Samstag, nach dem Last-Minute-2:2 im eigenen Stadion gegen den FSV Mainz 05, hatte der Trainer von Hannover 96 seine Spieler in einen kurzen Sonderurlaub geschickt, begleitet von den ahnungsvollen Worten, man werde sich in zwei Tagen wieder sehen – „so Gott oder der Vorstand es will“. Der gute alte Mann da oben wollte es, am Dienstagvormittag sahen sich Lienen und Mannschaft tatsächlich wieder, ein bisschen Krafttraining sowie einen Lauf um den Maschsee hatte der 51-Jährige aufs körperertüchtigende Programm gesetzt.

Die Herren noch weiter oben, in der Geschäftsführungsetage des Fußball-Bundesligisten, waren 24 weitere Stunden so gütig nicht. Noch am Vorabend hatten sie den Trainer zu einem Gespräch geladen, das zu Lienens letztem werden sollte. Am Mittwochvormittag versandte der Verein die wenig frohe, aber zu dieser Jahreszeit durchaus branchentypische Botschaft, dass er seinen Cheftrainer samt Co-Coach Michael Frontzeck „mit sofortiger Wirkung beurlaubt“ habe. Weiter hieß es: „Wesentlicher Grund für die Freistellung des Trainerduos war die nach sorgfältiger Abwägung gewonnene Überzeugung, durch einen Trainerwechsel zum jetzigen Zeitpunkt wesentliche neue Impulse für die weitere sportliche Entwicklung setzen zu können.“

Das stellt eine äußerst defensive Verklausulierung jener Vorwürfe dar, denen Lienen sich schon in den letzten beiden Wochen ausgesetzt sah. Noch am Samstag war Karl-Heinz Vehling, einer der beiden Geschäftsführer, jedenfalls weitaus deutlicher geworden: „Wir sind vom Kurs abgekommen und nicht da, wo wir hinmüssen.“ Vielleicht muss man an dieser Stelle erwähnen, dass Hannover derzeit mit zwölf Punkten auf Tabellenplatz dreizehn rangiert. Das ist war in der Tat vier Zähler vom vorgegebenen Saisonziel, einem „einstelligen Tabellenplatz“, entfernt, andererseits auch nichts, wofür sich eine Mannschaft aus der niedersächsischen Provinz wirklich schämen müsste. Just dies aber scheinen Vehling, ein im Fußballgeschäft bislang unbeleckter Anwalt, und sein Geschäftsführerkollege Ilja Kaenzig anders zu sehen. „Eine falsche Zielsetzung zu Saisonbeginn sehe ich nicht“, warf Kaenzig unbeirrt ein. Vielmehr gelte: „Wenn man Entwicklung will, muss man auch den Mut haben, die Ansprüche zu erhöhen.“

Das sagt sich leicht aus dem Munde eines Geschäftsführers, der ja immer noch den Trainer als bösen Buben in petto hat, sollten all die schönen selbstgezimmerten Ansprüche nicht mit der Wirklichkeit in Einklang gebracht werden können. Und schnell glauben das auch die Fans. Am Samstag, beim 2:2 gegen Mainz, wurden die „Lienen raus“-Rufe von den Massen jedenfalls laut und inbrünstig vorgetragen. Darüber groß gewundert hat sich freilich noch nicht einmal mehr der Trainer. „Die Situation ist durch unglückliche Äußerungen provoziert worden“, kommentierte Lienen. Dass die Mannschaft sich demonstrativ schützend vor ihren Trainer stellte und Kapitän Michael Tarnat eigens darauf hinwies, man arbeite „sehr gerne mit Ewald Lienen zusammen“ und wolle das „noch lange tun“, mag ebenso ungewöhnlich wie lobenswert sein, den Gang der Dinge aufhalten aber konnte es nicht mehr.

Nun muss die Mannschaft mit einem Neuen auskommen. Zehn Tage Zeit will sich die Vereinsspitze für die Suche lassen, doch keine zwei Stunden waren verstrichen, als der kicker via Internet schon dessen Name vermeldete: Peter Neururer, bis letzte Saison beim VfL Bochum durchaus erfolgreich wirkend, soll nach bislang noch unbestätigten Informationen des Fachblatts schon bald das Training in Hannover leiten.

Das könnte nicht nur eine gute Wahl sein, sondern den Niedersachsen vor allem eines ersparen: Lothar Matthäus als heiß gehandelten (und wahrscheinlich selbst ins Gespräch gebrachten) Kandidaten – nebst einer daraus erwachsenden Posse, wie der Club in Nürnberg sie gerade erlebt hat. Auch bei den Franken hatte sich Matthäus ja angebiedert, in der Folge hatten zudem auch Neururer (!) und Jürgen Röber abgesagt. Just gestern wurde der Club schließlich fündig, Hans Meyer macht ab sofort den Job, den keiner sonst wollte. Zur Erinnerung: Der 63-jährige Trainer-Oldie aus dem Osten der Republik rettete vor zwei Spielzeiten schon die Berliner Hertha vor dem Abstieg, außerdem ist er ein Freund des geflügelten Worts sowie selbsterklärter Nicht-Rosenzüchter. Um Blumen zum Sprießen zu bringen, hat ihn der Teppich-Napoleon aus Nürnberg aber auch nicht engagiert, sondern um die zuletzt dilettierende Mannschaft konkurrenzfähig zu machen. Es dürfte schwer genug sein für Hans Meyer.