Ermattet in extremer Notlage

Die Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2006/07 offenbaren: Berlin kann trotz relativ geringer Einschnitte noch lange nicht aufatmen. Aus eigener Kraft kommt das Land nicht auf die Beine

VON MATTHIAS LOHRE

Mit den Klagen über den Landeshaushalt ist es wie mit einem sehr lauten, permanenten Geräusch. Selbst an den schmerzhaftesten Ton gewöhnt sich der Geplagte irgendwann. Er wird zum täglichen Begleiter. So ist es auch mit dem Etat für die beiden kommenden Jahre. Wieder gibt es Einschnitte und Proteste. Doch selbst die Wehklagenden scheinen sich ermattet an die Haushaltsmisere gewöhnt zu haben. Und besser wird es auch mit dem Doppelhaushalt 2006/07, der derzeit im Hauptausschuss verhandelt wird, nicht werden.

Wenn am 8. Dezember das Abgeordnetenhaus über den pro Jahr 20 Milliarden Euro schweren Haushalt abstimmt, ist das Hauen und Stechen um die Gelder weitgehend gelaufen. Jetzt, während der Ausschusssitzungen bis zum 23. November, zerren die Parteien um die Haushaltsmittel. An den Grundpfeilern des Plans werden auch sie nichts ändern. Das Geld ist knapp, zu verteilen gibt es wenig. Die Zahlen sind erdrückend.

In den kommenden zwei Jahren gibt Berlin wieder mehr Geld aus, als es einnimmt. Insgesamt 5,65 Milliarden Euro neue Schulden nimmt das Land in dieser Zeit auf – bei Einnahmen in Höhe von 35 Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr zahlt Berlin mehr als 2,6 Milliarden Euro Zinsen für den gewaltigen Schuldenberg in Höhe von fast 60 Milliarden Euro. Das entspricht 18.100 Euro pro EinwohnerIn.

Im Gegenzug ist Berlin gesetzlich verpflichtet, Geld in Investitionen zu stecken. Offiziell weist die Finanzverwaltung 1,79 Milliarden Euro Investitionen für 2006 und 1,6 Milliarden Euro für das Jahr darauf aus. Doch dahinter stecken allein mehr als 400 Millionen Euro jährlich für die hoch verschuldete Landestochter BVG. Selbst Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) gibt zu, dass dies keine Investitionen getreu den Buchstaben des Gesetzes sind. Doch KritikerInnen im Bund und im Land will der Taktiker den Wind aus den Segeln nehmen: Beweise nicht eben diese Verzweiflungstat, dass Berlin in einer „extremen Haushaltsnotlage“ steckt? Und solidarische Hilfe vom Bund verdient? Deshalb erwarten die HaushälterInnen sehnsüchtig das Ergebnis der Berliner Klage um Haushaltshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn sie scheitert, ist der Doppelhaushalt 2006/07 nur noch ein bedeutungsloser Packen Papier. Verfassungsrechtler wie Matthias Rossi bezweifeln den rettenden Geldsegen (siehe Interview).

Die härtesten Kürzungen hat der Finanzsenator bereits in den Jahren 2003 bis 2005 durchgedrückt. Trotzdem geht das Sparen in den kommenden zwei Jahren weiter, beispielsweise bei der Jugendhilfe. Zu Wochenbeginn einigten sich SPD und Linkspartei auf einen Kompromiss. Die Kürzungen gehen weiter, aber unter vagen Auflagen gewährt das Land den Bezirken im Bedarfsfall weitere Hilfen. Angesichts des dramatischen Zusammenstreichens der Jugendhilfe-Gelder von 451 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 360 Millionen Euro im Vorjahr gilt das schon als Erfolg.

Seit Jahren freuen sich die HauptstädterInnen bereits, wenn die Zumutungen geringer sind als befürchtet. Das gilt auch für die Kita-Gebühren, die laut Haushaltsplan nicht steigen sollen. Ebenso verzichtet der Senat auf die Einführung direkter Studiengebühren. Knackpunkte gibt es jedoch genug. Grüne und FDP fordern starke Einschnitte bei den Verwaltungsausgaben. Nicht nur bei den Bezirks-, auch bei den Hauptverwaltungen sollen die HaushälterInnen aus Oppositionssicht stark kürzen. Die Personalkosten sinken 2006 und 2007 nur minimal auf je rund 6,4 Milliarden Euro – eine gewaltige Belastung für ein Land, das nur 40 Prozent seiner Einnahmen aus eigenen Steuern bezieht.

Die Sünden der Vergangenheit werden eine Bürde für die Stadt bleiben. Für den Haushalt 2008 sind schon heute 2 Milliarden Euro eingeplant, um enttäuschte Zeichner von 15 Immobilienfonds der Bankgesellschaft abzufinden. Das Land haftet. Das Berliner Hintergrundgeräusch wird also auch künftig weiter dröhnen. Nur dürfen sich die BerlinerInnen daran nicht gewöhnen.