Berlin wird Herr über Demos

Die Möglichkeit, das Versammlungsrecht eigenständig zu gestalten, könnte die Kreativität der Politiker beflügeln. Neue Demoverbotszonen wären denkbar oder mehr Rücksicht auf den Verkehr

VON KORBINIAN FRENZEL

Berlin ist Hauptstadt der Demonstrationen. 2.331 zählte die Polizei allein im vergangenen Jahr, das sind mehr als sechs Veranstaltungen pro Tag. Nur selten geht es heiß her, und oft finden sich nur wenige Menschen zusammen. Doch gerade die wenigen umstrittenen Demos bergen oft das Potenzial für harte Auseinandersetzungen: Wo sind die Grenzen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, wenn Nazis aufmarschieren oder gegen Israel demonstriert wird?

Das Land Berlin könnte über genau diese Frage bald eigenständig entscheiden, zumindest was den gesetzlichen Rahmen angeht. Denn die Bundesländer sollen nach dem Willen der großen Koalition das Versammlungsrecht künftig allein veranworten. Das sehen die im Koalitionsvertrag festgezurrten Eckdaten zur Föderalismusreform vor.

In der Berliner Politik herrschen geteilte Meinungen über den Kompetenzgewinn. „Nazis vor dem Brandenburger Tor können wir schon jetzt verhindern“, erklärt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Zimmermann. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kündigt an, das bestehende Bundesrecht übernehmen zu wollen. „Es gibt ohnehin nur unwesentliche Handlungsspielräume“, sagt er der taz.

Doch gerade die könnten eine große Rolle spielen. Zum Beispiel, wenn sich politische Mehrheitsverhältnisse in der Stadt ändern. Denn Demos stehen und fallen mit den Auflagen, die Behörden erteilen, weiß man beim Republikanischen Anwaltsverein. Grundlage ist neben dem Grundgesetz das Versammlungsrecht. „Es wäre fatal, diesen rechtlichen Rahmen zu zerfransen“, warnt der Vorsitzende Wolfgang Kaleck. Die Ausübung eines Grundrechtes dürfe nicht davon abhängen, in welchem Bundesland man sich aufhalte.

Bei der CDU herrscht ausnahmslos Freude über die neuen Möglichkeiten. Man könne sich vorstellen, die Versammlungsrechte nicht nur an Orten einzuschränken, die mit der NS-Vergangenheit zusammenhängen. Neben dem Holocaust-Mahnmal könnten also auch andere Orte auf den Demo-Index kommen. „Ein Beispiel wäre die Gedenkstätte Hohenschönhausen“, sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Frank Henkel.

Jenseits aller politischen Aspekte wollen die Christdemokraten auch ein weiteres Prinzip verfolgen. „Die Berliner haben ein Recht, sich frei und unabhängig zu bewegen“, betont Henkel. Gemeint sind damit aber nicht die Demonstrierenden, sondern all die, die wegen einer Demo im Stau stehen könnten. Darin, so Henkel, sei man mit Körting einig.