Irischer Frust

Ursula Rani Sarmas Tragikomödie „durchgebrannt“ im Thalia in der Gaußstraße verdichtet das Elend der Provinz

Der angesehene Dr. Cloughasy (Andreas Döhler) steht ruhig in Unterhose und pink Pullover hinter der neunjährigen Cora (Anna Blomeier). „Das ist unser kleines Geheimnis“, sagt er, sie starrt ins Leere. Diese Andeutungen genügen. Von sexualisierter Gewalt, Frust in der irischen Provinz, Mord und der Kriminalisierung zweier Jugendlicher handelt das Stück „durchgebrannt“ von der jungen irischen Dramatikerin Ursula Rani Sarma, im Thalia in der Gaußstraße jetzt erstmals in Deutschland aufgeführt.

Sarma, Shooting Star am irischen Dramatikerhimmel, hält ihren Text kurz, lässt Raum für Phantasie, erzählt Schreckliches humorvoll. Diesen dichten Stoff bringt der Regisseur Henning Bock in eine ebensolche Inszenierung. Coras Bruder Mikey (Tino Mewes) schwärmt von seiner verstorbenen Mum, von Fußball, klammert sich an seine jüngere Schwester, die an ihrem „kleinen Geheimnis“ zerbricht. Und weil Mikey seine Schwester so sehr liebt, erfüllt er ihr einen mörderischen Wunsch.

Die drei Schauspieler bringen jede Geste, jedes Wort mit punktgerichteter Energie, exakt dosierter Körperspannung, sie passen sich mühelos ein in den schnellen Rhythmus dieser Inszenierung, in den zackigen Szenenwechsel, wie bei MTV. Rückblenden, Einschnitte, Ortswechsel zwischen dem muffigen Provinznest und dem Heil versprechenden Dublin: Auf ihren Sprüngen zwischen Orten, vor und zurück in der Zeit und hinein ins Verderben nehmen die Schauspieler ihr Publikum mit. Hinterfangen ist das alles von spartanischer Requisite und Bühnenausstattung: Fünf abgenutzte Bürostühle stehen da in Reihe, ein abgetakelter Weihnachtsbaum in der Ecke.

Dezent unterstreicht Bassgitarrist Nicolai von Schweder-Schreiner mit irischem E-Folk die Leere, die Aggression, die Hoffnung, manchmal auch gemeinsam mit Mikey, dessen monotones Spiel auf der Mundharmonika sein Seelenleben nach außen kehrt. Andreas Döhler verwandelt sich behend vom schmierigen Dr. Cloughasy in den Stadtstreicher Macca, einen weiteren Verlierer auf dem gesellschaftlichen Parkett. Er erzählt aus seiner Perspektive die Geschichte der in Dublin gestrandeten Geschwister: „Man, sind die krank, total durchgeknallt!“, lautet sein Fazit über die Geschwister, deren Lebensumstände sie – im Märchen Hänsel und Gretel waren es die Arme der Hexe – in die Fänge der Justiz treiben. Bei aller Tragik des Stoffes kommt die Komik jedoch nicht zu kurz. Dafür sorgen sowohl der Text als auch das ins Groteske verdichtete Spiel.

Katrin Jäger

Weitere Aufführungen 8., 10., 20. + 21. 11., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße