Knietief im Prollfloor

Angenehm botschaftsfrei lässt sie die Zeichen fließen: Mit ihrem neuen Album „Confessions on a Dance Floor“ fordert Madonna den Thron der Disko-Hohepriesterin und Schwulen-Ikone zurück

VON HARALD FRICKE

Sie hat es schwer gehabt in letzter Zeit. Fiel vom Pferd, brach sich die Knochen, stand wieder auf. Lernte die stiff upper lip der britischen Aristokratie und wurde trotzdem von der englischen Boulevardpresse für ihre Eliza-Doolittle-artige Wandlung vom Cowboystiefel tragenden Ami zur Lady in Tweed belächelt. Das french kissing mit Britney Spears auf MTV wirkte bloß noch wie eine trotzige Behauptung früherer Freizügigkeit, während Kylie Minogue ihr den Rang der Disko-Hohepriesterin und Schwulen-Ikone abspenstig gemacht zu haben schien. Von ihren Ambitionen als Schauspielerin hat sie sich nebenbei auch verabschiedet, ohnehin war jeder Film mit Madonna Blei an den Kinokassen. Aber hübsche Kinderbücher für Lourdes und Rocco hat sie geschrieben, immerhin.

Jetzt konzentriert sie sich wieder aufs Kerngeschäft, das da heißt: Pop. Denn Madonna ist zwar immer ein von der Musik entkoppeltes Glamourprodukt gewesen, das ebenso gut für Pepsi werben konnte oder irgendetwas anderes aus dem Fundus des Bösen mit Namen Kulturindustrie; aber solche Begehrlichkeiten wurden von ihr auch deshalb geweckt, weil sie so verteufelt gute Platten machte, die sich vermarkten ließen und gleichzeitig Kommentar auf die Vermarktbarkeit waren. Mit ihrem Sound und den entsprechenden Visuals hat sie nicht Zielgruppen bedient, sondern selbst definiert; sie war nie Anhang, immer um sich selbst rotierendes Zentrum. Deshalb konnte sie ja auch so federleicht in all die Rollen vom Material Girl und der Latino-Braut bis zur Che-Gespielin im Camouflage-Look schlüpfen: Wohl wissend, dass der Signifikant fließen muss, so will es die Zeichenlehre des Kapitalismus.

Auch das neue Album zielt genau auf diese unentwegte Transformation bei größtmöglicher Wunschproduktion ab. Nicht von ungefähr heißt es „Confessions on a Dance Floor“, was wie ein Resümee des bisherigen Schaffens der heute 47-Jährigen klingt und doch schon in der Verortung auf der Tanzfläche die Tradition der Bekenntnisse von Augustinus bis Rousseau aushebelt. Wen interessiert der Autor, der auf seine Lebenserfahrungen zurückblickt, wenn es um Austausch und Kommunikation geht? Wozu die Heimeligkeit der Stereoanlage, wenn man auch rausgehen und in der Disko tanzen kann?

Dazu passt es, dass Madonna sich für das neue Album mit Stuart Price einen extravaganten Clubproduzenten gewählt hat. Price war unter dem Pseudonym Jacques Lu Cont bereits vor neun Jahren als Einmannband „Les Rhythmes Digitales“ in Sachen Techno-Funk unterwegs, jetzt versorgt er Madonna mit heißem Achtzigerjahrescheiß, mit obszön glibbernden Elektrosequenzern, stumpf ratternden Vierviertelbeats und Punkeinsprengseln auf der Gitarre. Dass er für die erste Single „Hung Up“ eine Melodie aus Abbas „Gimme Gimme Gimme (A man After Midnight)“ ausgeliehen hat, zeugt von seiner Liebe für campförmige Retrohaftigkeit. Knietiefer Prollfloor made in 1979, den Madonna gleich im Intro mit Sätzen wie „Time goes by so slowly“ konterkariert.

Ansonsten ist „Confessions on a Dance Floor“ im Gegensatz zum Vorgängeralbum „American Life“ angenehm botschaftsfrei. Mal wird Los Angeles als Stadt für Dauerschläfer in die Tonne getreten („I love New York“), mal sagt Madonna im Stück „Sorry“ auch einfach nur, dass sie Männer nicht mag, die sich ständig für ihre Existenz entschuldigen, um sich danach umso mächtiger in ihrem Mitleids-Ego aufzubauen. Und unter all den kleinen Bissigkeiten und Schmähungen pumpt der kühle Puls einer Großraumdisko.

Dann merkt man, wie sehr zumindest Price ein Fan jener feinen Dancefloor-Ironie der Pet Shop Boys und auch Anhänger der klar gestanzten Tanzmaschinerie eines Bobby Orlando ist. Und Madonna? Gibt als Zugabe ein Lied auf Rabbi Isaac Luria, worüber in der Community der ultraorthodoxen Juden arger Zorn herrscht. Sie werden sich an die Eskapaden ihrer spirituellen Schwester gewöhnen müssen. Schließlich gehört bei Madonna der Krawall zum Geschäft.

Madonna: Confessions on a Dance Floor (Maverick/Warner Brothers)