Singend auf die Schlachtbank

Gerburg Treusch-Dieter beschrieb in der NGBK das ewige Streben nach Arbeit als eine psychologisch allzu stark im modernen Menschen verwurzelte Dämlichkeit

„Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ – so formulierte Bert Brecht einst in begründeter Hoffnung auf Aufnahme ins Zitatenschatzkästlein. Dass Brecht hier aber nicht nur ein Bonmot stanzte, sondern auch Recht hatte, ja dass die Verkalbung der Menschen schon eine ganze Weile andauert und es sich ohne den selbst gewählten Schlächter gar nicht mehr leben lässt, das bewies der Donnerstagabend in der NGBK. In der Rolle des Schlächters hatte ihren Auftritt: die Arbeit – diese merkwürdige Angelegenheit, auf die alle scharf sind, obwohl sie doch eigentlich Kraft raubt, Energie schluckt. Warum dieses destruktive Ding zu einer Art „Lebensreligion“ moderner Gesellschaften geworden ist und welche schauerlichen Konsequenzen das zeitigt, darüber sprach die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter in der Reihe „Prekäre Perspektiven“.

In ihrem Vortrag stützte sich die FU- und UdK-Professorin auf das, was Hannah Arendt in ihrem Buch „Vita activa“ (1958) analysiert hat: dass das Arbeiten in der Neuzeit zum unhintergehbaren Paradigma menschlicher Tätigkeit geworden ist, ein verherrlichter Fetisch, der auf Kosten politischer Handlungsfähigkeit zu Buche geschlagen ist. Das konnte so passieren, weil Arbeit ein Versprechen in sich trug: das der Befreiung von ihr. Diese Konstruktion stellte Treusch-Dieter in all ihrer traurigen Abstrusität dar. Hart zu arbeiten, um nicht mehr arbeiten zu müssen, diesen Traum bezeichnete sie in Anlehnung an Arendt als Fluch. Denn mittlerweile habe der Mensch mit der Automation Verfahren entwickelt, die ihn als Arbeiter im Feld der Produktion überflüssig machten. „Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist“, das hatte Arendt schon früh erkannt.

Dumm nur, dass das Arbeitstier Mensch diesen Verlust nicht als Chance, sondern als Katastrophe wahrnimmt. Da fängt es dann an, das verzweifeltes Zählen der Arbeitslosen, das Beschwören eines Rechts auf Arbeit, die hysterische Jobsuche. Arbeit will jeder, weil Freiheit nur noch als erarbeitete denkbar ist – gelobt sei der Feierabend. „Die Inschrift ‚Arbeit macht frei‘ am Tor von Auschwitz ist darum kein NS-Unfall, sondern der Normalfall moderner Subjektivität“ – so Treusch-Dieter über diesen Teufelskreis.

Welche Effekte diese „Pathologik“ heute zeitigt, darum ging es ihr im Anschluss: Arbeit wird Mangelware, sie verteuert sich aufgrund der gestiegenen Nachfrage, und die Menschen versuchen, sich als gute Konsumenten liquide zu machen, um auf dem Arbeitsmarkt shoppen gehen zu können. Dazu müssen sie Wertpapiere anhäufen – Zeugnisse, Gutachten, Empfehlungen – und durch ständige Weiterbildungsmaßnahmen in sich selbst investieren. Die, die das nicht können, lassen sich als mittellose „Kunden“ einer „Agentur“ in Jobs vermitteln, deren Entlohnung einzig darin besteht, Arbeit zu erhalten. Produktionstechnisch notwendig ist nichts davon, Arbeit wird zur Pflichtübung, zum unterwürfig huldigenden Arbeits-Dienst; Treusch-Dieter bezeichnete ihn sinnfällig als bloße „Gymnastik“.

Und so stand sie am Ende da, die Arbeitsgesellschaft: als dienstfertig beflissene Turnübung, als vom Menschen hausgemachte Dämlichkeit, die sich nicht mal traut, einen gesunden Anspruch auf Grundeinkommen zu formulieren. Und damit war man wieder bei Brechts Kälbern – und einer ganz einfachen Frage, wie sie Treusch-Dieter am Schluss stellte: „Müssen wir so weitermachen und alle fünf Minuten den Kopf auf den Schlachtblock legen? Warum hören wir nicht damit auf? Was hindert uns daran?“ KIRSTEN RIESSELMANN