Bürger machen keine halben Sachen

Keine Chance fürs „Heldengedenken“: 2.000 Bürger stellen sich in Halbe 1.600 Neonazis in den Weg. Die Rechten müssen unverrichteter Dinge abreisen, dabei hatten sie auf den größten Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik gehofft

AUS HALBE Ulrike Heike Müller

„Nichts ist unmöglich“, singt Dirk Michaelis. Der ehemalige Sänger der Rockband Karussell steht auf der Bühne in der Schweriner Straße in Halbe. „Tag der Demokraten. Setze ein Zeichen! Tolerantes Brandenburg“ steht an der Rückwand der Bühne. Vor der Bühne stehen nur ein paar Dutzend Leute.

Doch auch 300 Meter weiter ist Michaelis’ weiche, eindringliche Stimme deutlich aus Lautsprechern zu hören. Hier kreuzt die Schweriner Straße die Lindenstraße. Es ist 13 Uhr. Rund um die Kreuzung wimmelt es von Polizisten in Kampfmontur. Und dann sind da noch etwa 300 bunt gekleidete Menschen. Sie hören Dirk Michaelis. Nichts ist unmöglich, das hoffen sie auch: Sie haben sich in den Kopf gesetzt, die Rechten auf ihrem Weg zum Waldfriedhof nicht durchzulassen. Dort sind mehr als 22.500 Soldaten der Wehrmacht und Kriegsopfer begraben. Wie in den vergangenen beiden Jahren wollen die Neonazis der Kriegstoten gedenken. Auf ihre Art.

Noch stehen sie auf der Lindenstraße. Fast alle sind schwarz gekleidet. Männer mit kurzen Haaren, viele tragen Sonnenbrillen. Einer verkauft Plakate mit der Aufschrift „Heldengedenken 2005“. Andere haben Kränze mitgebracht. Auf den Schleifen steht „Kameradschaft Blankenhain“ oder „Märkischer Heimatschutz“. Am Nachmittag will der Trupp durch Halbe laufen und auf dem Friedhof eine Kundgebung abhalten. So ist es geplant.

Für die Rechten bedeutet die Veranstaltung viel: Zum 60. Mal jähren sich die Kesselschlacht bei Halbe und das Ende des Zweiten Weltkrieges. Im Vorfeld rechnete die Polizei mit 3.000 Rechten. Gekommen sind etwa 1.600. Und genauso viele Polizisten. Die Gegendemonstranten sind nach eigenen Angaben 2.000.

Karin Weber gehört zum „Lokalen Bündnis gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe“. Die Frau mit der dunkelroten Lederjacke sitzt für die PDS im Brandenburger Landtag und hat bei der Polizei auf der Kreuzung vor 20 Minuten eine „Spontandemonstration“ angemeldet. Junge Breakdancer haben eine Matte ausgerollt und zeigen ihre Akrobatik. Fahnen von Ver.di, der IG Metall, von Grünen, SPD und PDS wehen.

Die offizielle Gedenkfeier auf dem Friedhof ist bereits vorbei. Matthias Platzeck sollte die Ansprache halten. Aber der brandenburgische Ministerpräsident und künftige SPD-Chef hat Wichtigeres zu tun. Er unterzeichnet in Berlin den frisch ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU mit. Für ihn ist Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm von der CDU eingesprungen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Halbe ein regelmäßiger Treffpunkt für Rechtsextreme wird“, sagt er.

Halbe. Ein Städtchen mit 1.500 Einwohnern im Südosten Brandenburgs. An Tagen wie heute kommen den alten Leuten die Erinnerungen an die letzten Kriegstage wieder hoch. Die Lindenstraße sei mit Toten übersät gewesen. Von russischen Soldaten erzählen sie, die Frauen vergewaltigten und im Dorf plünderten. Für sie ist der Volkstrauertag Gedenken an die Toten.

„Rockmusik und bunte Luftballons, so was gehört sich nicht“, sagt Werner Thiele. Für den 65-Jährigen wäre die sauberste Lösung, wenn die Nazis einfach ihre Kränze niederlegten. „Dit is ne Show hier. Der Schönbohm müsste glatt zurücktreten für so was.“ Und was das alles koste. Allein der Polizeieinsatz.

Noch immer warten die Rechten auf der Lindenstraße. Die Kränze haben sie vor ihrer improvisierten Rednertribüne niedergelegt. In den Parterrefenstern der Häuser sind alle Rollläden heruntergelassen. Einige Leute schauen gleichmütig aus ihren Fenstern in der ersten Etage. Ein Hubschrauber steht hoch oben in der Luft über der Tribüne. Der Lärm seiner Rotoren mischt sich mit Wagner-Musik. Die Sonne verabschiedet sich langsam.

Inzwischen ist klar, dass hier etwas Neues geschieht. Nur dreihundert Meter trennen Rechte und Gegendemonstranten. Die Nazis pochen darauf, dass sie für ihren Zug grünes Licht von Polizei und Gerichten haben. Die Gegendemonstranten finden, das geht zu weit. Hier wird die Grenze der Demokratie ausgelotet. Wer wird sich durchsetzen? Es ist 16.10 Uhr. Ulla Meinecke singt auf der Bühne in der Schweriner Straße „Du bist die Tänzerin im Sturm. Du schmeißt mit Liebe nur so um dich …“.

Der Lärm des Helikopters mischt sich in ihre Stimme, er verheißt Bedrohliches. Nun steht der Helikopter zwischen den beiden Blöcken. Und viel tiefer. Der Lärm der Rotoren wird unerträglich. Er erinnert an Kriegsfilme.

Um 16.45 Uhr stürmen plötzlich einige Rechte in Richtung Kreuzung. Sie rufen „Straße frei für die deutsche Jugend!“. Sie wollen endlich zum Friedhof, rempeln Polizisten an. Doch die Polizei verhindert den Durchbruch – und verstärkt die Sperren zwischen beiden Lagern.

Inzwischen steht der Mond hoch über Halbe. Es ist 17 Uhr. Bei den Rechten gibt es Nachschlag aus der Feldküche. Die Linken lehnen seit Stunden mit den Armen auf den Absperrgittern. Nun haben sie Windlichter in den Händen. Günter Baaske redet. Der SPD-Fraktionschef im Potsdamer Landtag bezeichnet die Rechten als „braune Soße“. Dies ist nicht der Tag für durchdachte Argumente. Hier geht es ums Durchhalten in der Kälte. „Die Rechten sind gefrustet, weil sie nicht marschieren können“, tönt eine Stimme durchs Megafon. Lautes Pfeifen folgt.

Etwas später murmelt groovige Musik aus den Lautsprechern. Drei Polizistinnen wiegen ihre Hüften im Takt. Die Anspannung der vergangenen Stunde scheint sich zu lösen. Da tönt wieder die Stimme aus dem Megafon: „Die Rechten haben aufgegeben. Sie ziehen in Richtung Bahnhof ab.“ Die Menge jubelt. Karin Webers Augen leuchten. „Ich bin glücklich“, sagt sie, „Dieser Sieg ist ganz bedeutsam für Halbe.“ Tatsächlich kann die Erfahrung hier helfen, neue Formen im Umgang mit Neonazis zu entwickeln.

Ein älterer Herr schenkt einer Polizistin eine Nelke. Etwas später verstaut ein schwarz gekleideter Mann mit kurzen Haaren am Bahnhof von Halbe einen Kranz im Kofferraum seines Golfs. Nichts ist unmöglich.