Angela Merkel und die Kunst des Möglichen

Die CDU genehmigt auf ihrem kleinen Parteitag in Berlin den Koalitionsvertrag mit drei Gegenstimmen. Angela Merkel verkauft die Abmachung als „große Chance“. Roland Koch nennt die Zustimmung zum Koalitionsvertrag gar eine Frage des „Patriotismus“

BERLIN taz ■ Es haben einige gemurrt in der Union. Christoph Böhr zum Beispiel. Für faule Kompromisse und höhere Steuern werde er bestimmt nicht die Hand heben, sprach der CDU-Vize in jedes Mikrofon. Kurz vor dem kleinen Parteitag gibt auch Böhr seinen heldenhaften Widerstand flugs auf. Natürlich werde er zustimmen: „Die Alternative wäre der Rückzug aus der Verantwortung.“ Wer solche Kritiker hat, muss nicht mehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Für Angela Merkel reicht es, Konrad Adenauer zu zitieren: Politik sei nicht die Kunst des Wünschbaren, sondern die Kunst des Möglichen. „Wir sollten uns dieser Verantwortung stellen.“ Merkel vollzieht ihre eigene Wende unspektakulär. Gerade noch Radikalreformerin, die „Politik aus einem Guss“ versprach, verkauft sie nun die große Koalition als „Chance“. Nur an ihrem lehrerhaften Redestil hat sich nichts geändert. Man sollte „nicht dauernd alles miesreden“, sagt sie – und die Delegierten erweisen sich als Musterschüler.

„Verantwortung“ ist das Wort des Tages. Fast alle Redner loben Merkel. Sie habe „einiges erreicht“. Immerhin. „Wenn wir ehrlich wären“, so ein Abgeordneter zur taz, „müssten wir sagen, der SPD wird 10-mal mehr zugemutet.“

Am Ende gibt es nur drei Gegenstimmen. In der Bundestagsfraktion wurde der Koalitionsvertrag schon am Sonntagabend einstimmig abgesegnet – weil mit Friedrich Merz der letzte namhafte Radikalkritiker lieber zu Hause blieb.

Kaum etwas hat Merkel mehr geholfen als die Feigheit ihrer Gegner. Ob Merz, ob Stoiber oder Wulff: Kritik äußerten sie meist bloß aus dem Hinterhalt. Das kam nicht gut an. Roland Koch ist da weitaus geschickter. Er hat längst eingesehen, dass er Merkel erst einmal den Vortritt überlassen muss – und dass seine Chancen, später vielleicht dranzukommen, steigen, wenn er jetzt loyal ist. Dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, so Koch, sei nicht nur eine Frage von Verantwortung. Es gehe um das heiligste Gut der Union, den Patriotismus. „Patriotismus“, sagt Koch, habe auch damit zu tun, dass man sich „nicht in die Büsche schlagen“ dürfe, wenn man mitregieren könne. Bei allen Kompromissen, die „leider Gottes unvermeidlich“ seien, sollte man nun „aufhören zu leiden und anfangen zu arbeiten“.

Über ihr schlechtes Wahlergebnis will Merkel die CDU erst am 5. Dezember diskutieren lassen. Vielleicht kommt dann ja auch Merz wieder dazu.

LUKAS WALLRAFF