Mehdorn versteht nur Bahnhof

Mit Hartmut Mehdorn unterwegs im Hauptbahnhof. Wie der Bahnchef durch sein Lieblingsprojekt führt, aus Versehen direkt unter einer Drahtschlinge posiert und zwischendurch mal keinen Plan hat

von ULRICH SCHULTE

„Der größte Kreuzungsbahnhof Europas verbindet alle Elemente der Mobilitätsgesellschaft.“ (Pressetext Bahn AG)

Es wird gefährlich. Wer aus der Reihe tanzt, sich absondert, verbotenes Terrain betritt, „wird zurückgelassen“, sagt der Pressesprecher. Lebendig einbetoniert? „Äh, muss zurück“, ergänzt er.

Die 60 JournalistInnen rücken ihre zu großen Bauhelme zurecht. Sie sind bereit. Dann stapfen sie durch gewalzten Sand auf den neuen Hauptbahnhof zu, vorbei an Freitreppen und staunenden Arbeitern. Aus der Ferne sieht der Trupp wie eine Invasion außerirdischer Eierköpfe aus.

„Filigran, großzügig und lichtdurchflutet ist die Architektur.“

Mr. Spock vom „Raumschiff Enterprise“ würde sich hier wohl fühlen. In der 160 Meter langen, 40 Meter breiten Bahnhofshalle riecht es nach Betonstaub, alles ist grau, Rolltreppen und gläserne Panoramaaufzüge sind noch in Frischhaltefolie verpackt.

„Gleich. Gleich werden Sie auf Herrn Mehdorn treffen“, raunt der Pressesprecher. Alle verdrehen die Hälse, nur ein Bauarbeiter fegt weiter gelassen Mörtelschlamm zwischen die Bodenplatten. Ein paar Minuten später ist es so weit: Hartmut Mehdorn, Vorstandschef der Bahn, rauscht eine Treppe herunter. Er muss sich, um des Effekts willen, eine ganze Weile oben versteckt haben. „Noch 200 Tage, der Countdown läuft. Jeder Tag zählt. Jeder“, sagt Mehdorn und zerknautscht sein kantiges Gesicht. Er ist klein und quadratisch wie die Natursteinplatten, auf denen er steht. Helm trägt Mehdorn nicht; er ist kein Eierkopf.

„Die transparente Gestalt sowie ein Wegeleitsystem erleichtern die Orientierung.“

Foto, Foto, Foto! Lässig lehnt sich der Chef ans Holzgeländer, hinter ihm breitet sich das weite Untergeschoss aus (das ist Absicht), einen halben Meter über seinem Kopf hängt eine Drahtschlinge an einem Kabel (wohl keine Absicht). „Uiuiui, da hat einer nicht aufgepasst“, meint ein Fotograf erfreut. Wird nun der Pressesprecher gehenkt? Die Frage bleibt offen, doch ansonsten bringt der Rundgang Erkenntnisse.

„Rund 1.270 Züge werden den Bahnhof pro Tag anfahren.“

Zum Beispiel die: Manchmal hat auch der Chef keinen Plan. „Die ICEs werden ja nur noch durch den Nord-Süd-Tunnel fahren, wenn wir den Bahnhof in Betrieb nehmen“, sagt Mehdorn. Dabei bleibt er, auch nach mehreren Nachfragen auf der Baustelle. „Die Stadtbahn ist voll, ICEs werden nur in Ausnahmefällen dort fahren – zum Beispiel wenn sie zum Betriebshof Rummelsburg müssen.“

Hätte er nur einen Blick in den eigenen Fahrplan geworfen, dort steht es anders. ICE-Linien, die in Köln, Frankfurt am Main und Amsterdam starten, fahren sehr wohl auf der Stadtbahn. Sie rauschen am Bahnhof Zoo durch, stoppen aber am Ostbahnhof.

Versteht Mehdorn nur Bahnhof? „Wenn der Chef das so mit dem dicken Daumen sagt, kann man ihm das nachsehen“, sagt der Pressesprecher, und damit hat er Recht. Um es wie die Eisenbahner zu sagen: Auch wenn der Lokführer nach links steuern will, bleibt der Zug im Gleis.

„Für Gerkan, Marg & Partner war die Bedeutung des Bahnhofs als Schnittstelle im zusammenwachsenden Europa der bestimmende Faktor.“

Die Gruppe trottet weiter, tiefer hinein ins Innere der Superstation. Wäre der Architekt Meinhard von Gerkan, ein ergrauter, 70 Jahre alter Herr, hier in der unterirdischen Halle ein paar Stunden eingesperrt, würde er versuchen, die Säulen zu erklimmen, um ein paar der Lochstahlplatten von der Decke zu reißen. Wo er luftige Gewölbe plante, hat die Bahn die Decke – gleich einem Arbeitsamtsflur – abgehängt: flach, praktisch, billig.

Mehdorn bleibt hart wie eine Lochstahlplatte: „Wir haben einen Bahnhof bestellt, kein Monument. Bei sich zu Hause bauen Sie sich auch die Decke rein, die Sie wollen. Nicht die, die Ihr Architekt will.“

„Der Hautbahnhof [sic!] bietet 15.000 Quadratmeter Gewerbefläche der Extraklasse.“

Alle 80 Mieteinheiten sind vergeben, schreit Mehdorn, weil nebenan ein Arbeiter ein Stahlrohr durchflext. Alles wunderbar? Bis auf eine kleine, genau 46 Meter hohe Ausnahme. Ein Mieter für den zweiten Bügelbau fehlt, den anderen übernimmt die Bahn. „Es gibt Angebote, aber wir müssen ja nicht die ersten Pflaumen pflücken“, so Mehdorn. Nach gut einer Stunde muss er weg. Auf dem Rückweg geht es über neue Treppen, sie sind mit Taubendreck befleckt. Auch ein Raumschiff hat irdische Probleme.