Rettung versucht

Das Welthandelssystem ist in Gefahr. Um guten Willen zu zeigen, bietet die EU aber eine Entwicklungsinitiative an

BERLIN taz ■ Die Welthandelsorganisation (WTO) steht vor einem Scheideweg. Darüber waren sich Vertreter der EU, des Industrieländerclubs OECD und der deutschen Wirtschaft gestern auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) einig. Scheitert die WTO-Ministerkonferenz im Dezember in Hongkong, dann droht die Auflösung des multilateralen Handelssystems, warnte der stellvertretende OECD-Generaldirektor, Herwig Schlögl. Stattdessen gäbe es dann eine Vielzahl schwer zu durchschauender bilateraler und regionaler Freihandelsabkommen. Ein wenig ambitioniertes Ergebnis sei deshalb besser als keins.

Der EU-Handelskommissar Peter Mandelson hatte vergangene Woche klar gesagt, er rechne nicht mehr mit einer Einigung in Hongkong. Dort soll es um den Abbau von Agrarzöllen und -subventionen im Norden gehen und um die Marktöffnung für Industriegüter und Dienstleistungen im Süden. Der britische Premier Tony Blair rief gestern die USA und die EU zu „kühnen Schritten“ auf, um die Welthandelsrunde noch zu retten.

Mandelsons Kabinettschef Simon Fraser wiederholte gestern jedoch, die EU werde erst mal keine weiteren Angebote im Agrarbereich machen. Die EU sei zwar zu weiteren Verhandlungen bereit, doch müssten die Handelspartner auch Bereitschaft zeigen, ihre Märkte für Industriegüter und Dienstleistungen aus der EU öffnen.

„Wir können nicht aufgeben, es steht zu viel auf dem Spiel“, so Fraser. Er kündigte zugleich eine neue Entwicklungsinitiative der EU an: Die Zollbefreiung für alle Exportwaren außer Waffen, die ärmere Entwicklungsländer unter der bestehenden EU-Initiative „Everything But Arms“ genießen, soll ausgeweitet werden. Andere Industrieländer und reichere Entwicklungsländer sollten sich zu ähnlichen Handelserleichterungen verpflichten, sagte Fraser. Zudem solle die finanzielle und technische Hilfe aufgestockt werden, um Produzenten aus Entwicklungsländern den Zugang zum Weltmarkt zu ermöglichen.

Der brasilianische Botschafter in Berlin, Luiz Felipe De Seixas Corrêa, deutete aber schon an, dass ein neues Entwicklungspaket als Ergebnis von Hongkong die Entwicklungsländer wohl nicht zufrieden stellen würde: „Das eigentliche Entwicklungsproblem ist die Landwirtschaft.“

Vor den Gefahren bilateraler Freihandelsabkommen warnen auch entwicklungspolitische Organisationen wie WEED immer wieder. Entwicklungsländer sind in direkten Verhandlungen mit ihren Haupthandelspartnern leichter erpressbar als im multilateralen Rahmen der WTO.

Aber wenn ausgerechnet die deutsche Industrie oder die EU auf die Drohung des Bilateralismus verweise, sei da „viel Heuchelei im Spiel“, so WEED-Handelsexperte Peter Fuchs. Denn die EU verhandele schon jetzt mit dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur über ein weit reichendes Freihandelsabkommen. Sie stehe auch in den Startlöchern für Verhandlungen mit den Anden-Staaten und Indien. NICOLA LIEBERT