Teufels Selbstzerfleischung

Der 1. FC Kaiserslautern steckt im Chaos: Erst verliert das Team gegen Nürnberg, dann entlässt der Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi Trainer Michael Henke, bevor er selbst zurücktritt

VOM BETZE TOBIAS SCHÄCHTER

Gestern war Totensonntag – und auch der 1. FC Kaiserslautern gedachte seiner verstorbenen Mitglieder. Zum einen gehört sich das so, zum anderen bietet die Trauer auch Gelegenheit, mit sich ins Reine zu kommen. Doch so recht wollte das dem Bundesligisten aus der Pfalz nicht gelingen. Zu frisch war noch der Schmerz – und zu groß das Verlangen nach Selbstzerfleischung. Schon am Tag zuvor, nach der 1:3-Heimniederlage gegen den 1. FC Nürnberg, hatten die Entlassung von Trainer Michael Henke sowie der angekündigte Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden René C. Jäggi den seit Jahren in der Krise dümpelnden Klub in weitere Turbulenzen gestürzt. Nun, während ein Teil des Klubs der Toten gedachte und sich Jäggi und Henke von der Mannschaft verabschiedeten, setzten die Kritiker ihre „Treibjagd“ (Jäggi) auf den Schweizer fort. Der ehemalige FCK-Spieler Mario Basler tat es im DSF, wo er, wie Jäggi es empfand, in einem „unwürdigen Schauspiel mit Unwissenheit und Unsachlichkeit alles in Schutt und Asche legen durfte, was ich hier in drei Jahren geleistet habe“.

Bereits am Samstagmorgen hatte der Schweizer den Aufsichtsrat darüber informiert, dass er bei einer neuerlichen Niederlage seinen Hut nehmen würde. „Es muss Platz geschaffen werden für neue, unbelastete Leute“, begründete Jäggi seinen Schritt. Nach dem herzlosen Auftritt gegen Nürnberg, der die seit zehn Spielen sieglose Mannschaft auf den letzten Tabellenplatz katapultierte, warf Jäggi den Spielern vor „nicht für den Trainer gespielt“ zu haben. Der Schweizer, der sich seit seinem Amtsantritt im September 2002 Anfeindungen ausgesetzt sah, wartete gar mit Verschwörungstheorien auf. So sieht Jäggi die Mannschaft von dem Spielervermittler Roger Wittmann negativ beeinflusst. Der ist nicht nur Berater des Torjägers Halil Altintop, sondern auch Schwager von Mario Basler. Dieser hatte Jäggi zuletzt nicht nur in mehreren Interviews als „Versager“ beleidigt, sondern schon als aktiver Spieler des FCK versucht, Mannschaftskollegen, die von anderen Beratern gemanagt wurden, zu seinem Schwager zu lotsen. Außerdem glaubt Jäggi, dass das Aufsichtratsmitglied Wilfried de Bur scharf auf seinen Posten sei.

Die von Jäggi vorgeschlagene Lösung, bis zur Mitgliederversammlung am 14. Dezember einen Notvorstand einzurichten, lehnte der Aufsichtsrat in einer Sitzung, in der „die Fetzten geflogen sind“, am Samstagabend ab. Nun bleibt Jäggi bis zur Mitgliederversammlung, in der auch ein neuer Aufsichtsrat gewählt wird, im Amt. Sportlich ist der machtbewusste Sanierer aus der Schweiz gescheitert. Nach den Trainern Erik Gerets, Kurt Jara und Hans-Werner Moser war Jäggis Wunschkandidat Michael Henke der vierte Trainer, der an dieser in Grüppchen zerfallenen Mannschaft gescheitert ist. Am Samstag gab Henke zerknirscht zu, dass „die Turbulenzen der letzten Jahre Spuren in der Mannschaft hinterlassen haben“.

Doch auch Henke muss sich Fehler ankreiden lassen. Spätestens nach dem debakulösen Auftritt bei der 0:2-Heimniederlage gegen den FSV Mainz 05 verlor er den Überblick und ließ jede Geradlinigkeit in seiner Personalpolitik vermissen. Neunmal in den letzten Spielen wechselte er das Personal in der mit nunmehr 33 Gegentreffern schlechtesten Abwehr der Liga. Zwar klingt es angesichts der 13 Jahre, die Henke als Assistenztrainer von Ottmar Hitzfeld gearbeitet hatte, wie ein Widerspruch, wenn man feststellt: Der Trainer ist vor allem an seiner Unerfahrenheit gescheitert. Zu schnell reagierte er bei seiner ersten Cheftrainerstation im Profifußball auf Fehlleistungen des größtenteils unterdurchschnittlichen Personals und brachte so viele Spieler der ohnehin untereinander zerstrittenen Mannschaft zusätzlich gegen sich auf. Was bei starken Kadern mit internationalem Zuschnitt wie in Dortmund und München ein adäquates Mittel zur Leistungssteigerung ist, geriet im kaum bundesligatauglichen Ensemble des FCK für Henke zum Bumerang. Endgültig an Autorität verloren hatte der 48-Jährige, als er nach dem Pokalsieg in Erfurt ausrastete und einen gegnerischen Spieler als „Scheiß-Ossi“ beschimpfte. Henke, der im Umgang mit der Presse immer sachlich und gefasst blieb, ließ in der mannschaftsinternen Ansprache mitunter cholerische Züge erkennen. Für zusätzliche Unruhe sorgte auch die Entlassung von Ciriaco Sforza. Der 35 Jahre alte Routinier hatte Jäggi auf die Anti-Henke-Haltung im Kader aufmerksam gemacht und die Ablösung des Trainers gefordert. Henke konterte – und kündigte an, Sforza werde unter ihm nicht mehr im Kader stehen.

Nun ist Henke weg – und Sforza hat zumindest seinen Auflösungsvertrag noch nicht unterschrieben. Ob dies überhaupt geschieht, soll eine Entscheidung des neuen Trainers werden, der, so Jäggi, einer sein muss, „der von allen Seiten anerkannt wird“. Ein Mann mit Stallgeruch soll es nun also versuchen. Die ehemaligen Spieler Klaus Toppmöller und Wolfgang Wolf gelten als die Favoriten. Zu beneiden sind sie schon jetzt nicht.

Kaiserslautern: Ernst - Lembi, Pletsch, Schönheim (74. Seitz), Blank - Riedl (59. Mikic), Zandi, Engelhardt - Skela - Altintop, Sanogo Nürnberg: Schäfer - Reinhardt (46. Wolf), Paulus, Cantaluppi, Nikl - Mnari, Banovic, Lars Müller - Kießling - Schroth (89. Vittek), Daun (64. Saenko) Tore: 0:1 Banovic (17.), 1:1 Blank (18.), 1:2 Lars Müller (78.), 1:3 Saenko (81.)