Eine Ära in der Vitrine

Mit Angela Merkels Vereidigung ist die Regierung aus SPD und Grünen endgültig Geschichte. Höchste Zeit, den Artefakten dieser Ära ein angemessenes Museum zu suchen. In Wolfsburg. Oder Dresden?

von CLEMENS NIEDENTHAL

Vielleicht kennt die moderne Welt einzig zwei Orte, an denen es das Vergangene wirklich zu besichtigen gibt: den Friedhof (oder den Schrottplatz und die Müllhalde, wenn es um die Vergangenheit der Dinge geht) und das Museum.

Vielleicht, weil der oder das Tote, erst einmal zu neuerlichem, nun eben musealem Leben erweckt, nur mehr ein Wiedergänger seiner einstigen Existenz sein kann. Ein Halbtoter, dessen fehlende Hälfte ein Kurator oder Historiker dazuerfinden wird. Geschichte ist immer Konstruktion. Weswegen man nicht früh genug damit beginnen sollte: Rot-Grün gehört also ins Museum, und das eher heute als morgen.

Und diese Bitte wird erhört werden. Schneller, als uns allen lieb ist. Zum einen, weil unter den Bedingungen von Retro ja genau betrachtet schon die Gegenwart zu großen Teilen Vergangenheit ist. Zum anderen, weil die Institutionen und Unternehmen schon jetzt um die Pole-Position im linksliberalen Revival-Rennen drängeln.

Im Revival-Rennen

Blüht uns das Event-Movie „Kampf um das Kanzleramt“ mit Heino Ferch und Bettina Zimmermann? Die sozialhistorische Dissertationsschrift „Der Verbraucher – zur Utopie einer Partizipation unter den Dispositiven globaler Märkte und lokaler Ängste 2003–2005“? Oder „Gut kaschiert“, eine Ausstellung verschiedener dunkelblauer Brioni-Anzüge im noch zu gründenden Bundesmodemuseum? Warum nicht auf der Schwäbischen Alp, auf halber Strecke zwischen Hugo Boss und Trigema?

In der Tat sind es die Dinge, anhand deren Geschichte längst immer häufiger erzählt wird. Das unter Helmut Kohl initiierte und unter Gerhard Schröder weitreichend neu gestaltete Haus der Geschichte in Bonn dient da als besonders eindrückliches Beispiel. Geschichte als eine Ordnung der Dinge – auch wenn die Gegenwart dieser Vergangenheit womöglich ganz und gar unordentlich war. Auch wenn Gerhard Schröder seinen Brioni-Anzug noch im Hannoveraner Hausflur gegen das Trigema-Feinripp getauscht haben könnte.

Geschichte ist also, das was bleibt. Oder – was im Falle von Rot-Grün wahrscheinlich noch interessanter wäre – was bereits in diesen Minuten und Sekunden im Verschwinden begriffen ist. Ticktack ticktack.

Und da die Kulturtechnik des Sammelns und Konservierens so unmittelbar an die kollektive Angst vor dem Verschwinden gekoppelt ist, bleibt zu hoffen, dass einige der rot-grünen Themen und Taten nicht aus dem Alltag (oder eben der Realität) ins Museum verschoben werden: der Einstieg in den Atomausstieg, die weitgehende gesetzliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften, die Kulturstaatsministerin …

Nun ist das Museum ein ziemlich physischer Ort, große historische Museumsbauten haben allesamt etwas Wehrhaftes an sich. Gefühle und Gefühltes werden immer noch viel zu selten ausgestellt. Jenes ungenaue Etwas also, das in den Feldern Gesellschaft und Politik so gerne als Klima bezeichnet wird. Und anstelle des Klimas hält sich die museale Praxis dann an die Sonnenhüte und Regenjacken.

Die flirrende Hoffnung von 1998, gerade unter denen, die jünger waren als die Kanzlerschaft Willy Brandts. Das innere Hadern und Zaudern, als auf dem Wochenmarkt die Unterschriftenlisten gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgetaucht sind. Kurz: diese inneren Zerrissenheiten, die Wechselbäder der realpolitischen Wirklichkeiten, all das sollte – vielleicht ja auch museal – konserviert werden.

Denn mindestens so sehr wie durch die politische Klasse waren die vergangenen sieben Jahre vom schlingernden Verhältnis der Menschen zu jener Politik geprägt. In 16 Jahren Kohl wusste hingegen jeder, wo er zu stehen hatte.

Ein repräsentativer Bau für das große rot-grüne Musealisierungsprojekt könnte indes schon bald zur Verfügung stehen. Es wäre ein eigenartig-unwirklicher Ort, was ja zumindest dem finalen Zenit Gerhard Schröders Regentschaft ziemlich nahe kommt: Die Gläserne Volkswagen-Manufaktur in Dresden, ein postindustrieller Palast mit künstlichem Froschquaken im künstlichen Burggraben.

Eben hat VW beschlossen, die dort gebaute Oberklassenlimousine Phaeton aufgrund mangelnder Nachfrage nicht mehr in den Schlüsselmarkt USA zu exportieren. Der Anfang vom Ende für die Kanzlerlimousine. Ein letztes Exemplar könnte gleich im Foyer parken. Die Standarte am Kotflügel, den Anzug im Kofferraum und hinten auf den Ledersitzen: ein Currywurst-Fleck.