„Die CDU fürchtet um ihre Macht“

Im taz-Interview analysiert der GAL-Verfassungsexperte Farid Müller, warum die CDU das per Volksentscheid beschlossene neue Hamburger Wahlrecht auszuhebeln versucht. Parteispitze wolle Kontrolle über eigene Abgeordnete behalten

„Die CDU würde ohne Bürgermeister-Bonus in die Bezirkswahlen gehen“

Interview: Marco Carini

taz: Warum verbeißt sich die CDU darin, die per Volksentscheid beschlossene Wahlrechtsänderung zurückzudrehen?

Farid Müller: Die CDU fürchtet schlicht um ihre Macht. Das neue Wahlrecht lässt die Wähler bestimmen, welche Abgeordneten einer Partei ins Parlament kommen. Die Parteiführung will aber möglichst allein darüber entscheiden, wer sie in der Bürgerschaft vertritt, um damit die eigenen Abgeordneten besser kontrollieren zu können.

Warum dringt die Parteiführung denn so darauf, dass die Wahlen zur Bezirksversammlung und die Bürgerschaftswahlen zusammen stattfinden?

Eine Entkoppelung von Bezirks- und Bürgerschaftswahl wäre für sie mit einem erheblichen Risiko für ihre Machtstellung in den Bezirken verbunden. Die Hamburger CDU hat seit ihrem mäßigen Ergebnis bei den Bundestagswahlen erkannt, dass sich der Ole-Effekt nicht auf andere Wahlen übertragen lässt. Und die CDU-Wähler lassen sich traditionell nur schlecht zu den Europawahlen mobilisieren, die nach dem neuen Wahlrecht zusammen mit den Bezirkswahlen stattfinden. Die CDU würde also ohne Bürgermeister-Bonus und ohne starke Wahlbeteiligung ihres Klientels in die Bezirkswahlen gehen. Das will sie unbedingt verhindern. Alle anderen Argumente sind vorgeschoben und sollen den wahren Grund kaschieren.

Welche Konsequenzen hat das Herumdoktern der CDU an dem Volksentscheid für die anderen Volksinitiativen?

Die Entscheidung der CDU, nach dem Votum über einen Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser nun auch noch den zweiten Volksentscheid zu kippen, hat Auswirkungen auf die beiden laufenden Volksinitiativen zur Rettung und zur Stärkung des Volksentscheids in Hamburg. Der eine will in der Hamburger Verfassung festschreiben, dass Volksentscheide künftig nicht mehr einfach ignoriert werden dürfen. Der zweite Volksentscheid will, dass die hohen Hürden, die die CDU kürzlich für die direkte Demokratie beschlossen hat, wieder gesenkt werden.

Gerade die Initiatoren der erstgenannten Volksinitiative können sich große Chancen ausrechnen. Die Menschen mögen die Mittmach-Demokratie. Es scheint möglich, dass sie mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten auf die Beine bringen und die erforderliche Zweidrittelmehrheit einfahren. Ein solches Ergebnis käme einer Sensation gleich, da eine verfassungsrechtliche Sicherung von Volksentscheiden bundesweit einmalig wäre.

Woher kommt Ihr Optimismus, dass die Volksinitiativen eine so hohe Mobilisierung erreichen?

Die beiden Volksinitiativen werden voraussichtlich 2007 zur Abstimmung kommen, also nur wenige Monate vor der nächsten Bürgerschaftswahl. Alle Umfragen belegen, dass die große Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger sich daran stört, dass zwei der bisher drei durchgeführten Volksentscheide von der CDU-Regierung nicht respektiert werden. Diese Auffassung reicht weit bis ins CDU-Lager hinein. Deshalb droht der Partei auch bei ihren bisherigen Wählern und Wählerinnen eine Niederlage, die Auswirkungen auch auf die nächste Bürgerschaftswahl haben dürfte.

Von der heute niemand sagen kann, mit welchem Wahlrecht sie überhaupt stattfindet.

Es ist wahrscheinlich, dass die Initiatoren des Volksentscheides für ein neues Wahlrecht nach dessen geplanter Beerdigung einen neuen Volksentscheid gegen die CDU-Änderungen auf den Weg bringen. Damit würde wohl etwa ein halbes Jahr vor der Hamburg-Wahl ein weiterer Volksentscheid über das Wahlrecht anstehen. Das heißt konkret: Alle Vorbereitungen zur Bürgerschaftswahl müssten bis zu diesem Volksentscheid ruhen oder zweigleisig fahren.

Es sei denn, auch dieser Volksentscheid wird kassiert.

Wenn der Volksentscheid zur Wahlrechtsänderung angenommen wird, kann die CDU ihn nicht im Hauruck-Verfahren noch ein weiteres Mal aushebeln.