Denken statt glauben, diskutieren statt beten

Das „Forum Gemeinsames Wertefach für Berlin“ kritisiert den Entwurf des Rahmenplanes für den Ethikunterricht. Die Argumente sind vielschichtig

„Wer vernünftig denkt und handelt, braucht die Religion gar nicht mehr“

VON ALKE WIERTH

„Da sich religiöse Überzeugungen einer für jeden gültigen Bewertung entziehen, besteht […] die Gefahr des Dogmatismus und der Intoleranz. Ihr muss man mit Aufklärung […] begegnen.“ Das sind so Sätze aus dem Rahmenplanentwurf für das Fach Ethik, den Schulsenator Klaus Böger vorlegte. Seinen Kritikern gefallen sie gar nicht.

Gerade mal das vorletzte Kapitel des entsprechenden Rahmenlehrplans, das ja immerhin auch als Gegengewicht zum bekennenden Religionsunterricht gedacht war, widmet sich dem Thema Glauben. Und das in ganzen elf Zeilen und mit thematischen Gegenüberstellungen wie „Glaube versus Aberglaube“ oder „Religionen und Ideologien“.

„Himmelschreiend“ nannte deshalb der Theologe Professor Johann Evangelist Hafner von der Universität Potsdam die „aktive Vermeidung der Religion“ im Rahmenplan des Schulsenats. Er war einer der Experten, die am Dienstag bei der Auftaktveranstaltung des Forums Gemeinsames Wertefach für Berlin ihre Kritik an dem vom Schulsenat vorgestellten Entwurf vortrugen.

Das Forum, ins Leben gerufen von den bildungspolitischen Sprechern von SPD, PDS und Grünen, will mit Unterstützung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie verschiedener Fachverbände und Experten eine „offene und öffentliche Diskussion“ über die Inhalte des geplanten Wertefaches herbeiführen, das ab dem Schuljahr 2006/07 als Pflichtfach für die 7. bis 10. Klassen aller Oberschulen an den Start gehen soll.

Die weitgehende Abwesenheit religiöser Themen in dem von Schulsenator Klaus Böger Mitte Oktober vorgelegten Rahmenplanentwurf für das neue Fach ist nur einer von vielen Mängeln, die das Forum kritisiert. Dass diese auf der ersten Forum-Veranstaltung am Dienstagabend im Abgeordnetenhaus aber ausgerechnet vom Vertreter der Theologen angeprangert wurden, ist interessant. Denn dass die Religion im Plan des Senators so eine geringe Rolle spielt, liegt gerade an der Haltung der Kirchen. Aus Angst davor, dass das neue Wertefach eine zu große Konkurrenz zu dem von den Glaubensgemeinschaften angebotenen bekennenden Religionsunterricht werden könnte, lehnten sie die Einführung des neues Pflichtfaches ab und verweigerten die Zusammenarbeit mit der Lehrplankommission.

Der Potsdamer Theologieprofessor Johann Hafner kritisierte auf der Veranstaltung des Forums Wertefach diese Haltung deutlich: dass religiöse Themen nun eine so untergeordnete Rolle spielten, sei möglicherweise eine „Trotzreaktion“ auf diese Verweigerung der Kirchen. Bögers religionsfreier Entwurf fuße nun auf der aufklärerischen These, „wer vernünftig denke und handele, brauche Religion gar nicht mehr“. Kinder und Jugendliche aus einem religiösen Umfeld könne man mit solchen Argumenten aber nicht erreichen.

Aber nicht nur das Himmlische fehlt den Kritikern von Bögers Entwurf im vorgeschlagenen Lehrplan. Sie bringen auch ganz irdische Einwände: zu wenig an der Lebensrealität Berliner Schülerinnen und Schüler sei der Ethik-Entwurf orientiert, zu „gymnasial“, zu abgehoben. Das dort präferierte „philosophische Gespräch“ sei als Lehrmethode zwar für Gymnasien geeignet, für Haupt- oder gar Sonderschüler aber nicht die richtige Form, um Werte zu vermitteln. Denn Wertebildung, so erläuterte der Berliner Erziehungswissenschaftler Professor Ulf Preuss-Lausitz, erfolge nicht nur über Wissensvermittlung, sondern auch über zentrale alltägliche Erfahrungen. Nach Bögers Unterrichtsplan sollten mit Debatten über „einflussreiche Positionen und wichtige Methoden der Philosophie“ aber „Sonderschüler vom Auto-Anzünden abgehalten werden.“ Und auch der vom Forum als Experte geladene Potsdamer Philosophieprofessor Ralf Stoecker konstatierte im Böger-Entwurf die Absicht, mit dem Ethikunterricht „Jugendliche zu besseren Menschen oder Bürgern zu machen“.

Welche Inhalte stattdessen aus der Sicht des Forums Werteunterricht zur nachhaltigen Wertevermittlung auch für Haupt- und Sonderschüler notwendig wären, fasste der GEW-Vertreter Dr. Gerhard Weil Dienstagabend zusammen: Demokratieerziehung und Trainingsprogramme für interkulturelle Kompetenz, das Einüben von Impulskontrolle und „differenzierenden Beschreibungen“, außerdem Migrations- und Religionsgeschichte, Themen wie Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fundamentalismus und nicht zuletzt Berlins diverse Jugendkulturen sollten, so forderte der Bildungsexperte, im Werteunterricht behandelt werden. Ob allerdings nicht auch damit die Erwartungen an ein Fach, das zwei Stunden pro Woche unterrichtet werden soll, unerfüllbar überhöht werden, ob Schule tatsächlich, wie der Philosoph Stöcker vorsichtig fragte, etwas an den Umständen ändern könne, die zum Ruf nach dem Wertefach überhaupt geführt haben – Zeit, diese Fragen zu beantworten, blieb zumindest am Dienstagabend nicht.