„Verteilungsgerechtigkeit ist nicht alles“

Die SPD-Familienpolitikerin Nicolette Kressl will mit Elterngeld die Geschlechter-Rollenverteilung aufweichen. Bei arbeitslosen Eltern kann sie Kürzungen nicht ausschließen. Im Detail gibt es erste Konflikte mit Familienministerin von der Leyen (CDU)

INTERVIEW ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Kressl, die große Koalition will Paare mit dem Elterngeld zum Kinderkriegen ermutigen: 67 Prozent vom letzten Nettoeinkommen für ein Jahr. Sind Reichenkinder dem Staat mehr wert als Armenkinder?

Nicolette Kressl: Nein. Es kann nicht sein, dass wir an alle staatliche Unterstützung den Maßstab der Verteilungsgerechtigkeit anlegen. Die Frage ist hierbei nicht, wie viel Geld dem Staat die Kinder wert sind. Sondern es geht darum, die Opportunitätskosten zu senken, also die Hemmschwellen für Menschen mit Kinderwunsch zu senken. Die skandinavischen Länder haben dabei auch nicht über Gerechtigkeit gestritten.

Den Arbeitslosen wurde mit Hartz IV das Geld gekürzt – denn Steuermittel seien nicht dazu da, den Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Jetzt wollen Sie mit Steuergeld den Lebensstandard von Gutverdienern erhalten.

Anders als früher die Arbeitslosenhilfe läuft das Elterngeld ja nur ein Jahr. Es setzt sowohl ein familien- als auch ein frauenpolitisches Signal. Denn solange Frauen weniger verdienen als Männer, werden es immer die Frauen sein, die auf ihr Einkommen verzichten, wenn ein Kind kommt. Dadurch werden Rollenverteilungen zementiert. Das Elterngeld wird diese Zementierung aufweichen.

Erklärter Zweck ist, Akademikerinnen zur Fortpflanzung zu bewegen: Der Staat möchte mehr deutsche Mittelschichtskinder, nicht wahr?

Solche Polemik macht mich zornig. Wir wollen nicht nur bestimmten Schichten das Kinderkriegen ermöglichen, sondern allen Vätern und Müttern die Wahlfreiheit zuerkennen. Ich weiß, dass die Zahl „vierzig Prozent kinderlose Akademikerinnen“ nicht stimmt. Aber ich wäre auch fürs Elterngeld, wenn es genauso viele kinderlose Akademikerinnen wie Nicht-Akademikerinnen gäbe.

Im Vorbildland Schweden sind die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern erstens größer geblieben als in Westeuropa. Zweitens sind dort die Geburtenraten in den 90er-Jahren mit der Wirtschaftsflaute auch gesunken …

Aber drittens entscheidet sich dort ein deutlich höherer Anteil der Männer für Hausarbeit und Kinderbetreuung als im Rest Europas. Das ist ein entscheidender Erfolg. Wir wollen deshalb auch zwei Monate der Förderung nur gewähren, wenn Männer solange zu Hause bleiben.

Es gibt bereits verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, Männer zum Babyhüten zu zwingen.

Es gibt keinen Zwang. Die Zahlung des Geldes ist eben an die Kinderbetreuung gekoppelt. Ein verfassungsrechtliches Problem hätten wir erst, wenn wir die Aufteilung der Betreuung vorschreiben würden.

Familienministerin Ursula von der Leyen hat gesagt, das Elterngeld wird auf Sozialleistungen angerechnet: Arbeitslose kriegen also weniger als heute?

Das kann nicht in allen Fällen ausgeschlossen werden. Es gibt aber für Arbeitslose und Niedrigverdiener einen Sockelbetrag und dazu für Letztere die Möglichkeit des Kinderzuschlags. Auch sozial benachteiligte Familien werden mit unserer Familienpolitik besser dastehen. Denn wir wollen ja alle familienpolitischen Angebote weiterentwickeln: das Elterngeld, den Kinderzuschlag und die Kinderbetreuung.

Von der Leyen erklärt auch, die Union habe in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass das gemeinsame Einkommen eines Paares zur Berechnung des Elterngeldes herangezogen werde.

Dies wollen wir laut Koalitionsvertrag zwar prüfen, aber entschieden ist das nicht. Ich bin dagegen. Das würde nicht nur viel teurer – dann müssten etwa 1,8 statt 1 Milliarde Euro zusätzlich ausgegeben werden. Es würde außerdem die Rollenverteilung wieder festigen. Denn der Anreiz für die Frau entfiele, zurück in den Arbeitsmarkt zu gehen.