„Ich fühle mich missbraucht“

Der Fußballtrainer Uwe Rapolder glaubt an den altruistischen Star, der sich aus dem Team entwickelt. Köln andererseits hat Lukas Podolski. Ein nationales Jahrzehnt-Talent. Will Rapolder den Star klein machen, damit er selbst größer wird?

„Ich sehe mich im Bezug auf Podolski in einer väterlichen Rolle. Es schmerzt, dass ich immer als sein Angreifer dargestellt werde“

INTERVIEW DANIEL THEWELEIT
UND PETER UNFRIED

taz: Herr Rapolder, die jüngsten Erfolge von Konzepttrainern wie Ihnen, Jürgen Klopp in Mainz oder Ralf Rangnick in Schalke, galten vielen als erfreulicher Schritt in die Fußballmoderne. Jetzt, da Schalke und Köln Probleme haben: Spüren Sie eine reaktionäre Gegenbewegung?

Uwe Rapolder: Ich glaube nicht, dass die Entwicklung der vergangenen Jahre aufzuhalten ist. Selbst wenn ich morgen in Köln entlassen werde und Rangnick in Schalke, wird sich ein moderneres Verständnis von Fußball und ein entsprechender Umgang durchsetzen. Andernfalls würde Deutschland international weiter absacken. Das konzeptionelle Arbeiten mit klaren Vorgaben und Strukturen ist mittelfristig ohne Alternative.

Wie erklären Sie sich die heftigen Widerstände?

Vor 30 Jahren funktionierte der Fußball vor allen Dingen über die Motivation. Den Fußball über diesen Faktor zu erklären, spielt allen Trivialisierungsbedürfnissen in die Hand. Demgegenüber steht das Können, und das ist das Fachwissen, die Kompetenz, das Technisch-Physisch-Taktische. Man kann heute nicht mehr sagen: Los raus, Gras fressen, spielt, wie ihr wollt!

Das fachliche Nonplusultra in Deutschland lautete viele Jahre: Geht raus und spielt Fußball.

Viele, die den Fußball Jahrzehnte aus der Perspektive der Motivation betrachtet haben, können oder wollen sich nicht so schnell umstellen. Auch die Berichterstattung reagiert darauf, aber einige brauchen weiterhin diese Trivialisierung. Die interessiert dann: Hat der Kahn auf dem Trottoir geparkt? Ist da Neid und Missgunst in der Mannschaft? Wer schnauzt im Training wen an?

Letzteres interessiert im Fall des 1. FC Köln speziell im Zusammenhang mit Lukas Podolski. Müsste ein solcher Ausnahmespieler nicht doch eine Chefrolle haben?

Fragen sie mal einen Lizarazu, wer bei den Bayern der Chef ist. Der sagt: Ich bin mein eigener Chef. Der Micoud in Bremen sagt: Wir brauchen doch keinen Chef auf dem Platz, wir haben ein Konzept. Solidarität und Loyalität, flache Hierarchien, das ist doch die Moderne, auch in der Wirtschaft.

Sie wurden kritisiert für Ihr Bemühen, Podolski zu einem modernen Profi zu erziehen. Dahinter stecke eigene Eitelkeit. Werden sie missverstanden?

Ich fühle mich da nicht missverstanden, ich fühle mich missbraucht, und instrumentalisiert. Es stimmt einfach nicht, dass ich mit dem Lukas Probleme hätte. Natürlich gab es das Spiel gegen Hannover, wo er auf der Bank saß und sich anschließend beschwerte. Das war problematisch, aber es war der einzige Zwischenfall. Ansonsten versucht man hier für die Leistungen von Lukas, die bisher nicht so top sind, immer eine externe Ursache zu finden.

Mit anderen Worten: Sie.

Ja. Da nimmt man dann gerne den Trainer. Mal hat Lukas die falsche Position gespielt, mal hat er zu hart trainiert und dann wieder zu wenig. Er ist schon manchmal ein Schlitzohr, aber ich bin hergekommen mit einer großen Freude auf Lukas Podolski, ich will ihm helfen. Aber es gibt viel zu viele Leute, die hier schreien: Lukas, du bist der Größte, du bist ein Weltfußballer. Die setzen ihn unter Druck, und davon muss er sich freimachen. Das ist ein hoch talentierter Spieler, aber das ist ein Kerl.

„Junger Kerl“ oder „Junge“ sind Wörter, die Sie oft benutzen für Podolski. Klingt wie: Kind.

Er ist gerade 20 geworden. Aber da einen psychologischen Hintergrund hineinzuinterpretieren wäre falsch. Das drückt von meiner Seite eher so etwas aus wie eine väterliche Rolle. Es schmerzt, dass ich immer als sein Angreifer dargestellt werde, obwohl ich ihn nur beschützen möchte.

Es ist kurios, dass Sie als bekennender Gegner des Starkults auf den Fußballer getroffen sind, um den die größte Hysterie veranstaltet wird. Ihr Dogma lautet schließlich: Der Star muss aus dem Kollektiv erwachsen.

Ja, ideal ist es, wenn Helden aus einer Mannschaft erwachsen, anstatt dass Mannschaften um einen Star herum gebaut werden. Die Einzelkönner stellen sich bei den großen Klubmannschaften immer ins kollektive Konzept ein. Aber selbstverständlich versucht man, einem Spieler wie Lukas Freiräume zu schaffen. Wir haben ja schon mehrfach das System umgestellt. Nicht nur für ihn, aber auch, damit er mehr Freiheiten hat.

Seine Ausnahmestellung ist aber eine Belastung, auch aus seinem Umfeld wird Unruhe verbreitet. Jüngst verkündete Podolskis Berater Norbert Pflippen in „Bild“: „Die Busfahrerin von Bayern verdient mehr als Poldi beim FC.“ Was ist die Botschaft?

Man muss immer aufpassen, wer wo zitiert wird. Ich weiß nicht, ob der Berater das so gesagt hat, aber ich weiß, wie diese Zeitung arbeitet. Zum Beispiel so: Ich rede mit einem Kamerateam, da läuft der Poldi an mir vorbei, streckt mir die Hand hin, und in genau dem Moment wird ein Foto gemacht. Dann drucken die das mit einem Text: Der Supertrainer, Klammer auf,Waldhof, Bielefeld, Ahlen, Klammer zu, verweigert Poldi den Handschlag. Damit muss man hier umgehen.

Ist die Art, wie der FC in Köln behandelt wird, eine Ursache für den ausbleibenden Erfolg der letzten Jahrzehnte?

Vom Potenzial könnten wir wie Stuttgart, Hamburg, Berlin, Schalke und Dortmund zu den ersten acht gehören. Die Frage ist tatsächlich: Warum schafft Köln das einfach nicht? Liegt das nur an den handelnden Personen im Klub? Oder ist die Begleitung auch derart schwierig, dass du hier kaum vernünftig arbeiten kannst? Da müssen sich einige Beteiligte klar darüber werden. Aber unsere Fans und Mitglieder sind klasse.

Herr Rapolder, auch DFB-Trainer Jürgen Klinsmann hat Probleme in der Rezeption. Die Torwartrotation zwischen Kahn und Lehmann folgt ebenfalls dem Grundsatz flacher Hierarchien. Dafür wird er mit ähnlichen Argumenten angegriffen wie Sie.

Kahn ist ein großer Spieler, er hat große Verdienste, aber er muss mit seinen Mitspielern kommunizieren, und er muss ein Teil der Mannschaft sein. Eine Führungspersönlichkeit sticht immer durch soziale Kompetenz heraus. Wer keine soziale Kompetenz hat, kann niemals einen Führungsanspruch erheben.

Also ist die Rotation richtig?

Das kann man diskutieren. Ansonsten macht Klinsmann fast alles richtig.

Wie geht das Torwartduell aus?

Ich bin mir sicher, dass der Kahn bei der WM spielen wird.

Lohnt sich so etwas, wenn man sieht, wie viel Widerstand es bringt?

Unbedingt. Klinsmann ist für mich der wichtigste Mann im deutschen Fußball. Er hat jetzt die Aufgabe, diese ganze Diskussion zu steuern. Aber jeder, der etwas Neues bringt, wir erst mal in die Ecke gestellt.

Als konzeptfußballerisches Ideal gilt Chelsea. Dort spielen nurStars …

Aber der Chef ist Mourinhos Konzept. Ein Lampard, ein Essien, ein Makelele, ein Drogba oder ein Duff, alle spielen das System des Trainers. Wenn man zu stark individualisiert, dann nimmt man sich einfach Qualität. Wie Real Madrid.

Je flacher die Hierarchie, desto wichtiger wird der Trainer.

„Kahn ist ein großer Spieler, muss aber Teil des Teams sein. Wer keine soziale Kompetenz hat, kann nie Führungsanspruch erheben“

Falsch. Es ist genau umgekehrt: Es ist eine alte Trainerstrategie, drei Spieler stark zu machen, und diese Führungsspieler dann um sich zu scharen. Damit ist er aus der Mannschaft nicht angreifbar. Das macht einen Trainer wichtig, nicht der Konzeptfußball.

José Mourinho befriedigt selbst das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Starkult und Trivialem. Ist der Satz „Der Star ist die Mannschaft“ nicht doch ein Euphemismus für Trainerstartum?

Mourinho ist auch ein eitler Typ, das ist doch klar, aber ich empfinde es nicht so, dass er sich dort als großer Star inszeniert. Chelsea ist aus meiner Sicht Konzept pur. Zugegeben, die haben eine Menge Kohle ausgegeben, aber die haben keine großen Namen verpflichtet, sondern konzeptionell Leute, die alle sehr stark waren aber noch nicht ihren Zenit erreicht hatten.

Ihr Konzept erfordert ein Maß an Rationalität, dass nicht zur kölschen Emotionalität zu passen scheint.

Köln ist schon ein emotionaler Standort. Ich bin ja auch ein eher emotionaler Typ. Aber man muss auch analytisch vorgehen. Ich glaube, viele Fans zeigen da gerade emotionale Intelligenz. Die spüren, wenn sie beim Training zuschauen, dass wir ordentlich arbeiten. Dass die Stimmung in der Mannschaft gut ist. Und deshalb fragen sich viele: Warum ist hier immer so ein Theater?

Als Sie nach Köln kamen, galt Ihr Grundsatz: In zwei Wochen bringe ich jeder Mannschaft mein Konzept bei. Warum klappt das beim FC nicht?

In Ahlen und Bielefeld hat das tatsächlich so schnell geklappt. Aber man braucht eben aggressive und laufstarke Spieler dafür. Man braucht Außenverteidiger, die stark im eins gegen eins sind, und man braucht zwei sehr dynamische Sechser vor der Abwehr. Wir haben hier versucht, die Mannschaft so zusammenzubauen und haben da zwei, drei Dinge über- oder unterschätzt. Mit ein, zwei Retuschen traue ich mir zu, das in der Winterpause hinzubekommen.

Womöglich ist das schon zu spät.

Jetzt warten Sie mal: Es war schon eine positive Ausnahme, in fünfzehn Monaten, aus der Versenkung kommend, so einen Job wie ich in Bielefeld zu machen. Es ist eigentlich klar, dass dann eine Phase der Konsolidierung kommt. Es war auch logisch, dass viele hier jetzt kommen und sagen: Was will denn der? Der kommt hier her und glaubt, er könnte uns Fußball beibringen! Das ist eine Gegenbewegung, und die muss sich jetzt wieder in eine Vorwärtsbewegung ändern. Ich vergleiche die Situation ein bisschen mit dem Kartenspielen.

Aha.

Da habe ich manchmal wochenlang grausame Karten, und plötzlich fliegen mir die Vierer und die Full Houses rein. Trotz allem Konzept ist manchmal auch ein bisschen Glück vonnöten.