Die Bahn kommt – nach Hamburg

Die Bahn überlegt, „zentrale Funktionen“ nach Hamburg zu verlegen. Zieht die Konzernzentrale um? Was Hartmut Mehdorn genau plant, bleibt ungewiss. Wowereit bittet die CDU-Kanzlerin um Hilfe

von ULRICH SCHULTE

Eines kann man Hartmut Mehdorn nicht nachsagen: Mangel an Chuzpe. Noch vor einer Woche brüstete der Bahnchef sich in einem Zeitungsartikel: „Wir sind das einzige international bedeutsame Unternehmen, das nach der Wiedervereinigung seinen Firmensitz nach Berlin verlegt hat.“ Die Bahn AG sei „der größte Arbeitgeber“ der Hauptstadt. Zumindest damit hat er Recht. Das Unternehmen beschäftigt 19.000 Leute in Berlin.

Doch ansonsten kann sich in einer Woche viel ändern. Gestern wurden Überlegungen der Bahn öffentlich, „zentrale Funktionen“ von Berlin nach Hamburg zu verlegen, wie es in einer Mitteilung heißt. Was das genau bedeutet, erschloss sich nicht in Gänze. Auch ein Umzug des Vorstands sei Thema der Gespräche mit dem Hamburger Senat, sagte Bahnsprecher Werner Klingberg. Die Konzernzentrale residiert derzeit im gläsernen Bahn-Turm am Potsdamer Platz. In dem Gebäude arbeiten 850 Beschäftigte.

Ein Wegzug in die Hansestadt wäre jedoch eine Kehrtwende. Die Nähe zur Politik galt für das Bundesunternehmen als wichtiges Argument für Berlin. Jetzt sagt Klingberg: „Angesichts der Pläne, an die Börse zu gehen, verliert auch die politische Anbindung an Relevanz.“ Fazit: Nichts ist sicher.

Wahrscheinlicher als ein Umzug der Zentrale erscheint, dass die Bahn etwa ihren Unternehmensbereich „Transport und Logistik“ an der Elbe verlegt. Denn die Umzugsideen sind entstanden, weil die Bahn seit Monaten über stärkeres Engagement in der Hafenstadt verhandelt. Sie will sich an der Hamburger Hafen- und Logistik AG und an dem Nahverkehrsunternehmen Hamburger Hochbahn beteiligen. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) frohlockt angesichts von Investitionen im „deutlichen dreistelligen Millionenbereich“ und prophezeit über 1.000 neue Jobs.

Dass im Gegenzug 1.000 Jobs in Berlin verloren gehen, ist wohl nicht zu befürchten: Für den SPD-Verkehrsexperten Christian Gaebler zum Beispiel wäre die Verlagerung der Konzernzentrale „nicht nachvollziehbar“. Der Grund: Zwar ist Berlin seit 1994 Hauptsitz der Bahn, in Frankfurt am Main existiert jedoch ein zweiter Verwaltungsstandort. Hamburg wäre somit ein dritter Stützpunkt.

Auch wenn die Bahn-Pläne bisher vage bleiben, stemmt sich der Senat schon jetzt vehement dagegen – vorneweg der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Er bewertet eine auch nur teilweise Verlagerung des Hauptsitzes als „schwerwiegenden Schlag für die ganze Region“. Auch Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nahm die Meldungen „mit Befremden“ zur Kenntnis: „Es kann nicht sinnvoll sein, wenn sich ein Bundesunternehmen aus der politischen Schaltzentrale Hauptstadt zurückzieht.“ Ihr Kollege Harald Wolf (PDS), zuständig für Wirtschaft, betont: „An der Position der Bundesregierung dazu werden die Menschen erkennen können, ob es die Regierung mit ihrem Bekenntnis zum Aufbau Ost ernst meint.“

Egal, wie ernst Bahnchef Hartmut Mehdorns Überlegungen sind, eines hat er also geschafft: Der rot-rote Senat bittet den Anteilseigner um Hilfe – den in diesem Fall ausgerechnet CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel vertritt.

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