Genossen kurbeln Wirtschaft an

Allen Hiobsbotschaften zum Trotz: Die Berliner SPD glaubt weiterhin an den Industriestandort Berlin. Auf einem Parteitag berät sie heute über Perspektiven einer sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik

VON RICHARD ROTHER

Schwieriges Umfeld für den wirtschaftspolitischen Parteitag der Berliner SPD: Die Schließungspläne von Samsung in Oberschöneweide und des Baumaschinenherstellers CNH in Spandau sind noch ganz frisch, da treffen sich heute die Sozialdemokraten, um über wirtschaftspolitische Leitlinien zu beraten. Wenigstens der Standort des Parteitags – im erfolgreichen Wissenschaftszentrum Adlershof – lässt die Herzen der Genossen wohl ein bisschen höher schlagen. Ansonsten gibt es viel Problematisches zu diskutieren: die Gesamtlage der Berliner Wirtschaft, die Auswirkungen der umstrittenen Hartz-Gesetze, die Vereinbarungen zur großen Koalition im Bund.

Der Leitantrag des Landesvorstands um Parteichef Michael Müller verschiebt die Vorgaben für eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik in Nuancen. So soll sich Berlin künftig als „Industrie- und Dienstleistungsstandort“ positionieren – die alleinige Fokussierung auf den Dienstleistungssektor gehört der Vergangenheit an. Dabei ist die Diskussion um die Leitlinien, die die Sozialdemokraten heute verabschieden, kein Selbstzweck: Die Vorgaben des Parteitags dienen als Grundlage für das Wahlprogramm zu den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006.

Ziel der SPD ist nach den Vorstellungen des Landesvorstands „ein nachhaltiges Wachstum in allen Wirtschaftsbereichen der Stadt“. Allerdings soll sich die Wirtschaftspolitik auf bestimmte Kompetenzfelder konzentrieren – insbesondere die Gesundheits- und Medienwirtschaft, aber etwa auch die Verkehrs- und Umwelttechnik. Entscheidend sei aber, nicht nur im hoch qualifizierten Sektor Arbeitsplätze zu schaffen, „sondern auch weniger qualifizierten Arbeitskräften die Möglichkeit zur Arbeit zu bieten“, heißt es im Leitantrag. Das Wort „gesetzlicher Mindestlohn“ findet sich hier freilich nicht. An anderer Stelle bekennt sich die Berliner SPD-Spitze aber zum „Erhalt von Arbeitnehmerrechten, Sozial- und Umweltstandards“ und zu einem finanziellen „Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben“ für den Fall, dass der Ausbildungspakt nicht fruchten sollte.

Berlin und Brandenburg sollen nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten nicht mehr gegeneinander um die Ansiedlung von Unternehmen kämpfen, sondern eine gemeinsame Strategie für die „Metropolenregion“ entwickeln. Einen Zeitplan für die Fusion beider Länder will die SPD nicht mehr aufstellen, sie setzt sich nunmehr für eine „zeitnahe Abstimmung“ über dieses Thema ein.

Konfliktträchtig könnte auf dem Parteitag die Frage der öffentlichen Unternehmen sein. Nach Jahren der Privatisierungen – etwa bei Bewag, Gasag, den Wasserbetrieben und der Wohnungsbaugesellschaft GSW – spricht man sich nun ausdrücklich „für den Erhalt öffentlicher Unternehmen“ aus. Dem Arbeitnehmerflügel der Partei geht das nicht weit genug. Er will ausdrücklich, dass „die Politik der Privatisierung und des Abbaus des öffentlichen Dienstes“ beendet wird. Außerdem dürften reguläre Arbeitsplätze nicht durch 1-Euro-Jobs ersetzt werden. Während der Parteivorstand von Chancen redet, sieht der Arbeitnehmerflügel das Land in einer schweren Krise. „Berlin droht zu einer Armenregion im vereinten Deutschland zu werden.“

Trotzdem sieht Parteisprecher Hannes Hönemann eher wenig Konfliktpotenzial für den Parteitag. Das ergebe sich höchstens in Detailfragen. Über die Entwicklung bei Samsung seien alle enttäuscht. Allerdings müsse man auch sehen, dass sich die Berliner Industrie konsolidiert habe. Im nächsten Frühjahr wolle sich die Partei dann dem Thema „Soziale Stadt“ widmen. Und die nächste Wahl gewinnen.