Charité unter Vollnarkose

Ab heute streiken die Ärzte an der Charité eine Woche lang. Sie fordern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Im Klinikum werden nur noch Notfälle versorgt. Patienten zeigen Verständnis

VON RICHARD ROTHER

Friedliches Gebimmel im Advent? An der Charité, dem zweitgrößten Arbeitgeber der Stadt, ist davon nichts zu hören. Eher läuten die Glocken Sturm. „Natürlich streike ich in dieser Woche“, sagt ein junger Arzt. Einen Zwei-Jahres-Arbeitsvertrag hat er in der Tasche, auf anderen Stationen gebe es aber Drei- oder Sechs-Monats-Verträge. „So kann das nicht weitergehen.“

Dem jungen Arzt geht es bei dem Streik, der ab heute eine Woche lang das größte Uni-Klinikum Europas lahm legen wird, nicht unbedingt ums Geld. Auf das Weihnachtsgeld könnte er sogar verzichten. Er sorgt sich vor allem um die Arbeitsbedingungen. Eigentlich müsste mal etwas passieren, wenn ein Arzt nach einem 24-Stunden-Bereitschaftsdienst operieren müsse. „Dann würden hier vielleicht ein paar Leute aufwachen.“ Aber in einem solchen Fall würde sicherlich dem Arzt die Schuld gegeben werden.

Zu dem einwöchigen Streik sind insgesamt rund 2.200 Ärzte aufgerufen, die Organisatoren rechnen mit einer Beteiligung von mehr als 90 Prozent. Mit dem Streik will der Marburger Bund, die Interessenvertretung der Klinikärzte, einen eigenständigen Tarifvertrag für Ärzte und Ärztinnen durchsetzen. Der Organisation geht es um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter. So sollen die Grundgehälter deutlich angehoben, sämtliche Überstunden vergütet und die Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit anerkannt werden.

Der Marburger Bund hatte zuvor die Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt. Er hält die Forderungen des Charité-Vorstands nach weiterem Gehaltsverzicht für nicht akzeptabel, weil damit bei den Ärzten Einkommenseinbußen von bis zu 15 Prozent verbunden seien. Deutliche Einbußen, die das hoch verschuldete Land Berlin dem öffentlichen Dienst und öffentlichen Unternehmen wie der BVG längst zugemutet hat.

Der Klinikvorstand bedauert das Scheitern der Tarifverhandlungen, sieht sich angesichts der schwierigen finanziellen Lage der Charité aber nicht in der Lage, den Forderungen der Ärzte nachzukommen. Das Klinikum muss bis zum Jahr 2010 mehr als 200 Millionen Euro sparen, weil der rot-rote Senat – wie in anderen Bereichen auch – die Subventionen kürzt. Knapp 32 Millionen Euro sollen deshalb die insgesamt 15.000 Beschäftigten durch Lohnverzicht beisteuern. Andernfalls drohen betriebsbedingte Kündigungen.

Während sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die vor allem Pflege- und Verwaltungskräfte vertritt, kompromissbereit zeigte, fährt der Marburger Bund die harte Linie. Er entzog Ver.di das Mandat für die Tarifverhandlungen, setzt sich vor allem für die Interessen der Ärzteschaft ein. Und findet damit bei vielen Ärzten Verständnis, die sich als die eigentlichen „Leistungsträger“ im Krankenhaus sehen. Eine Krankenschwester verdiene zwar deutlich weniger als ein Arzt, habe aber auch einen unbefristeten Vertrag, heißt es. Und die Verwaltung sei überbesetzt.

Im Normalfall bekommen die Patienten von diesen krankenhausinternen Konflikten wenig mit. Den Ärztestreik in dieser Woche werden sie aber spüren. Ab heute wird es nur noch eine Notfallversorgung geben. Im Klartext: Die Visiten auf den Stationen finden zwar statt, gemacht wird aber nur das Nötigste. Auch Notfälle werden versorgt. Planbare Operationen würden aber nicht durchgeführt, so der Sprecher des Marburger Bundes, Athanasios Drougias. Bei den Patienten stoße die Aktion auf Verständnis, diese hätten einen Anspruch auf Behandlung durch ausgeruhte Ärzte. „Wir wollen die Patienten nicht vergraulen.“