Großer Auftritt, kleine Wirkung

Die internationale Gemeinschaft verhandelt über den Status des Kosovo – doch UNO und EU fehlt ein stimmiges Konzept – und den Konfliktparteien vor Ort der Wille zur Einigung

Vielleicht löste die Aufnahme der Region in die EU Probleme, doch der Weg nach Brüssel ist weit

Die Verhandlungen über den Status des Kosovo sind erst eine Woche alt – und schon scheinen sie ausweglos verfahren. Von der UNO verwaltet, gehört das Kosovo formal zur Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro, bewohnt wird es zu neunzig Prozent von Albanern. Die Interessen von Belgrad und Priština sind gegensätzlich – und ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Dem UN-Chefunterhändler Martti Ahtisaari bekräftigen die Kosovo-Albaner glaubwürdig, dass für sie nichts als die Unabhängigkeit der Provinz infrage kommt. Die Staatsspitze Serbiens lehnt dies ab und droht, eine „aufgezwungene“ Lösung „niemals“ anzuerkennen.

Was also bei den pompös aufgebauschten „Statusverhandlungen“ verhandelt werden soll, wenn die betroffenen Parteien gerade über den Status des Kosovo gar nicht verhandeln wollen, bleibt unklar. Radikale Gruppen im Kosovo drohen, die Unabhängigkeit notfalls mit Waffengewalt zu erzwingen. Und die mit Abstand stärkste ultranationalistische „Radikale Partei“ in Serbien ruft „zum Kampf für die Wiege des Serbentums“ auf. Bei der enormen Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent sind Serbien und Kosovo ein fruchtbarer Boden für nationalistische Ideen. Statt also große politische Lösungen anzustreben, sollten lieber Programme gegen Arbeitslosigkeit aufgelegt werden.

Doch die internationale Gemeinschaft bevorzugt auf dem Balkan den großen politischen Auftritt. Weil die Angelegenheit so wichtig für die gesamte Region ist, wurden ein halbes Dutzend Unterhändler, Bevollmächtigte und andere politische Hausierer von EU, USA, Russland, Nato et cetera beauftragt, um der UNO bei den „heiklen“ Verhandlungen „beizustehen“. Um die Show irgendwie auf die Bühne zu bringen, will Ahtisaari Belgrad und Priština in der „ersten Phase“ dazu bringen, über „konkrete“ Probleme zu reden, wie etwa die Dezentralisierung der Verwaltung, den Schutz der Minderheiten, den Kampf gegen das organisierte Verbrechen oder die Rückkehr serbischer Flüchtlinge. Also über all die Probleme, die das UN-Protektorat in den vergangenen sechs Jahren nicht praktisch angehen und lösen konnte – weshalb die UNO übrigens die Formel „Demokratische Standards vor Status“ in „Status vor Standards“ änderte. So gleicht der ganze Verhandlungsprozess einer Farce, die letztlich dem UNO-Sicherheitsrat nur als ein Alibi dienen soll, ungeachtet von Belgrad und Priština über den Status des Kosovo in der „Endphase“ zu entscheiden.

Die Entscheidung soll Serben oder Albanern – oder beiden – dann aufgezwungen werden. Die Kosovo-Albaner halten dabei allerdings die besseren Karten in der Hand. Sie fordern die Unabhängigkeit des Kosovo schon im nächsten Jahr. Sollten sich die Statusverhandlungen nicht so entwickeln, wie sich das die Albaner dort vorstellen, besteht die Gefahr, dass extremistische, bewaffnete, gut organisierte und mit einzelnen Politikern verbundene Gruppen die internationale Friedensmission zur „Okkupationsmacht“ erklären und das Kriegsbeil im Namen des „Freiheitskampfes“ ausgraben.

Einen bewaffneten Konflikt mit Kosovo-Albanern kann und will sich die internationale Gemeinschaft nicht leisten. Immerhin hat die Nato 1999 ihre eigene Charta missachtet, den UNO-Sicherheitsrat umgangen und Milošević’ Jugoslawien bombardiert, um dieselben Albaner von serbischer Repression zu befreien. Deshalb widersetzte sich auch die internationale Friedenstruppe KFOR bisher nicht energisch der systematischen Vertreibung von rund 200.000 Serben aus dem Kosovo und der massenhaften Zerstörung von serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöstern, und zwar in den vergangenen sechs Jahren, seit die UN die Provinz verwaltet. Die Tiraden der UN-Unterhändler über eine multiethnische Gesellschaft klingen dabei zynisch.

Dem geschwächten, kriegsmüden Serbien bleibt auf der anderen Seite nichts anderes übrig, als sich auf das internationale Recht zu berufen und zu jammern, dass die internationale Gemeinschaft dem „albanischen Terror nachgibt“. Tatsächlich wäre es ein Präzedenzfall in Europa, dass einer nationalen Minderheit – den Albanern – in einem demokratischen Staat – Serbien-Montenegro – die Unabhängigkeit zugestanden wird. Und natürlich baut Serbien auf das Vetorecht Russlands im UNO-Sicherheitsrat. Trotz allem ist die Unabhängigkeit des Kosovo die einzige realistische Lösung. Nicht, weil man in Washington, New York und Brüssel glücklich darüber wäre, sondern weil sie de facto nicht verhindert werden kann. Zumindest nicht friedlich.

Die Klärung des Kosovo-Status wäre aber noch längst nicht die Lösung der albanischen Frage auf dem Balkan. Erstens wäre es absurd, dass neben Albanien noch ein zweiter albanischer Staat existiert. Und zweitens wäre mit der Unabhängigkeit des Kosovo die Frage der Albaner in Mazedonien, in Südserbien, in Montenegro oder in Griechenland noch nicht geklärt.

Möglicherweise würde die Aufnahme der gesamten Region in die EU all diese Probleme lösen, doch der Weg nach Brüssel ist weit. Seit Jahren weiß man, dass die provisorischen Lösungen auf dem Balkan nicht ewig halten können. Jetzt kommen alle auf einmal auf die EU zu: Montenegro wird im Frühjahr ein Referendum über die eigene Unabhängigkeit ausschreiben und das Ende der funktionsunfähigen, unter dem Druck der EU entstandenen Staatengemeinschaft Serbien-Montenegro besiegeln. Es ist auch nicht absehbar, wie sich die Unabhängigkeit des Kosovo auf das regierungsunfähige Bosnien und Herzegowina mit seinen zwei Entitäten mit staatlichen Elementen auswirken wird. Deshalb versucht man jetzt, Hals über Kopf die Verfassung zu ändern und Bosnien zu zentralisieren, um eine mögliche Unabhängigkeit der serbischen Republika Srpska zu verhindern. Wenn die Kosovo-Verhandlungen jetzt erneut mit so einer Halblösung enden, fangen die Spannungen in einigen Jahren wieder von vorne an.

Statt große Lösungen anzustreben, sollte lieber etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan werden

Obwohl die Völker des Balkans von europäischen Integrationsprozessen schwärmen, wollen sie zunächst die eigenen Desintegrationsprozesse um jeden Preis beenden und eigene Nationalstaaten errichten. Während man außenpolitisch Teil des europäischen Wertsystems werden möchte, richtet man sich innenpolitisch nach einer „Blut-und-Boden-Ideologie“. Für ihre Souveränität sind balkanische Völker zu neuen Kriegen bereit – dabei vergessen sie, dass sie bei einem EU-Beitritt auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten müssten. Nur ein massiver Einsatz der EU könnte diese verheerende, verkehrte Logik in den Ländern verändern, in denen Blutrache noch ein Teil des Alltagslebens ist und wo es sich gehört, dass ein Mann ein Waffe besitzt, und wenn sie nur zum Ballern auf Hochzeiten dient.

Der Status quo im Kosovo ist jedenfalls unhaltbar. Sollte der internationalen Gemeinschaft diese „Quadratur des Teufelskreises“ nicht gelingen, wäre es nur eine Frage der Zeit, dass Medien wieder über das „Pulverfass Balkan“ berichten werden.

ANDREJ IVANJI